Das beste ist, zu vergeben
Nigeria

Das beste ist, zu vergeben

Jos, Plateau State, Nigeria. Früher war die Stadt ein geschätztes Rückzugsgebiet für ausländische Missionare. Verschiedene Kirchen haben hier noch ihre Gästehäuser. Mehr und mehr wurde Jos aber zu einem Brennpunkt der Gewalt.

Rückblende: 28. November 2008. Es begann gegen vier Uhr morgens am Tag nach den Kommunalwahlen im Plateau State. Ibrahim Izang Aziobo wurde durch lautes Hämmern an der Wohnungstür geweckt. Als er öffnete, stand seine Nichte vor ihm. Aufgeregt rief sie: „Sie sind da! Es geht los!“

Die Wahlen selbst waren friedlich verlaufen. Ibrahim hatte als Wahlhelfer mit dafür gesorgt. Aber am folgenden Tag kam es zu Übergriffen. Noch bevor die Wahlergebnisse überhaupt bekannt gegeben worden waren, begannen Angehörige des muslimischen Fulani-Stammes in der Stadt zu protestieren. In Erwartung eines Sieges des christlichen Kandidaten gingen sie zunehmend gewalttätig mit Gewehren und Macheten gegen Christen vor.

Sie kamen mit Macheten

Ibrahim sprang aus dem Bett. Er wusste, was die Warnung seiner Nichte bedeutete: Die Christen in der Stadt wurden angegriffen. Als Ibrahim aus der Wohnung trat, war seine Nichte bereits nicht mehr da, und er bemerkte, dass auch etliche seiner Nachbarn flohen. Dann hörte er Schüsse. Zum Glück befand sich seine Frau Ana in einer anderen Stadt in Sicherheit. Ibrahim sah sich um. Menschen rannten um ihr Leben.

Ibrahim ging in Richtung der Schüsse. Er wollte sich selbst ein Bild machen, die Angreifer mit eigenen Augen sehen. „Es war furchtbar“, sagte er, „militante islamische Fulani-Hausa, mit Stöcken, Macheten und Gewehren bewaffnet, brüllten: ‚Allah ist groß!‘ und ‚Lasst uns den heiligen Krieg führen!‘“

Ibrahim rannte zu seiner Wohnung zurück. Er wollte helfen, seine Nachbarn zu schützen. Zusammen mit einigen anderen Christen brachte er Frauen in eine nahe Kirche und half ihnen, sich zu verstecken. Dann versuchten sie, die Straßen mit allem, was sie finden konnten, zu verbarrikadieren und so den herannahenden Mob aufzuhalten. „Wir haben versucht, sie aufzuhalten“, sagte Ibrahim. „Und obwohl ich dachte, sie können uns einfach überrennen, wusste ich, dass Gott mit uns war.“

„Ich verstand, dass es für mich selbst das Beste sei, zu vergeben – also vergab ich.“

Ein Schuss aus dem Hinterhalt

Als Ibrahim Kinderstimmen aus einem brennenden Haus hörte, zog er sich die Kapuze seiner Jacke über Mund und Nase und betrat kurzentschlossen das rauchgefüllte Gebäude. Im Haus bemerkte er die Silhouetten zweier Männer, die in einer Ecke kauerten. Dann schoss ihm einer der Männer unvermittelt ins Gesicht. Ibrahim war in einen Hinterhalt geraten. „Ich hörte noch den Knall und fiel zu Boden“, sagte Ibrahim. Vor Schmerzen riss er die Hände vors Gesicht.

So fand ihn ein junger Mann, der den Schuss gehört hatte und ihm zu Hilfe gekommen war. Unter größter Anstrengung zog er den fast leblosen Körper aus dem Haus. Tragen konnte er ihn nicht. Dazu brauchte es noch drei weiterer Männer. Zusammen brachten sie den Schwerverletzten in eine Klinik. Dort versuchten die Ärzte zunächst, Ibrahims Zustand zu stabilisieren, aber als es ihm zusehends schlechter ging, gaben die Ärzte die Hoffnung auf und kümmerten sich zunächst um die anderen Opfer der Angriffe, die eine höhere Überlebenschance zu haben schienen. Als eine Krankenschwester erkannte, dass Ibrahim noch bei Bewusstsein war, gab sie ihm Medikamente, stoppte die Blutung und behandelte seine Wunden. Er und drei weitere Schussopfer wurden später ins Jos University Teaching Hospital transportiert. Dort kam die Schockdiagnose: Ibrahim würde nie wieder sehen können.

Blind auf Jesus schauen

Als Ibrahim erfuhr, was mit ihm los war, brach er in Tränen aus. Inzwischen war seine Schwester zu ihm ins Krankenhaus gekommen. „Hast du denn Gott vergessen?“, fragte sie ihn. Die Frage traf Ibrahim mitten ins Herz. Noch auf dem Krankenhausbett übergab er Jesus sein Leben neu und ganz. „Vor dem Angriff war ich nicht wirklich wiedergeboren“, sagte er. „Erst nach dem Angriff, nachdem ich mein Augenlicht verloren hatte, habe ich gelernt, nur auf Jesus zu schauen und ihm mein Leben ganz anzuvertrauen. Ich habe das seitdem nie bereut.“

Die Armee konnte die Lage schließlich stabilisieren und die nigerianische Regierung die Ordnung wiederherstellen. Aber Zehntausende mussten fliehen, Hunderte verloren ihr Leben - sowohl Christen als auch Muslime – und viele, viele waren verletzt. Auch Kirchen, Moscheen und Schulen waren niedergebrannt worden. Bis heute weiß Ibrahim nicht, was mit den Kindern geschah, die er aus dem brennenden Haus retten wollte.

Eine wegweisende Predigt

Nach einem Monat konnte Ibrahim das Krankenhaus verlassen. Sobald er kräftemäßig dazu in der Lage war, besuchte er einen Gottesdienst. Dort in der Kirche hörte er eine Predigt, die sein Leben veränderte. Es war die erste Predigt, die Ibrahim nach dem Angriff hörte, und das Thema war Bitterkeit. Der Pastor sprach davon, dass wir denen vergeben sollen, die uns verletzt haben. Das saß. Ibrahim war bitter und hatte nach dem Angriff Rachegedanken gehabt, aber jetzt veränderte Gott sein Herz durch diese Predigt. „Die Botschaft hat mir wirklich geholfen“, sagt er. „Ich verstand, dass es für mich selbst das Beste sei, zu vergeben – also vergab ich.“

Seine Blindheit hat Ibrahim näher zu Gott gebracht; die Brailletastatur erleichtert sein Leben.
Heute sind Ibrahim und seine Familie froh, durch die HMK-Partner vor Ort Hilfe und Unterstützung zu bekommen.

Die HMK in Nigeria

Wir unterstützen die Gemeinde Jesu vor Ort mit

  • medizinischer Hilfe für Anschlagsopfer
  • Lebensmittel für Binnenflüchtlinge
  • Materialien beim Wiederaufbau zerstörter Häuser
  • Selbsthilfeprojekten zum Aufbau einer neuen Existenz
  • Rechtsbeistand für fälschlich angeklagte Christen
  • seelsorgerlichem Beistand
  • Ausbildungen und Schulungen

Gut zehn Jahre später

Als unser Partner Ibrahim 2019 kennenlernte, lebte er mit seiner Familie in einem baufälligen Haus. Ibrahim und seine Frau hatten nach dem Angriff mit den Arztrechnungen zu kämpfen. Es gab kaum Unterstützung von der Familie und auch die Hilfsorganisationen ignorierten ihre Hilferufe. „Das war ein Tiefpunkt für mich“, sagte Ibrahim. „Ich hatte Begegnungen mit Hilfswerken, die mich besuchten und befragten. Viele Leute kamen und gingen. Doch ich habe sie nie wieder gesehen. Hilfe kam nicht.“ Ibrahims Kinder konnten keine Schule besuchen, weil er nicht arbeiten und deshalb das Schulgeld nicht bezahlen konnte. Unser HMK-Partner half der Familie dann mit einer Unterkunft, mit Schulgebühren, Kleidung und mit einem monatlichen Zuschuss für Lebensmittel und andere notwendige Dinge.

Nicht mehr allein

Nun möchte unser Partner der Familie helfen, ein kleines Geschäft zu gründen, damit sie sich selbst versorgen kann. Die Lage ist nach wie vor schwierig. Ibrahim weiß, dass jederzeit weitere islamistische Anschläge verübt werden können, aber er weiß auch, dass er nicht mehr allein ist. Es hat ihn tief bewegt, als unser Partner ihm sagte, dass Christen auf der ganzen Welt für ihn beten. „Die Gemeinde Jesu sorgt sich um mich?“, fragte Ibrahim. „Da fehlen mir die Worte! Ich bin einfach nur dankbar, unglaublich dankbar. Ich bin so froh, ein Teil der Familie der Christen zu sein.“

Ibrahim hat inzwischen die Blindenschrift gelernt, und besitzt eine Bibel in Blindenschrift. Er ist begeistert: „Früher habe ich die Bibel gar nicht verstehen können. Aber jetzt verstehe ich sie und verlasse mich auf sie. Das gibt mir Kraft.“

Für seine weitere Heilung und für Wachstum im Glauben bittet Ibrahim um Gebet.

Anteilnehmen und Lernen

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Das Magazin gibt den um ihres Glaubens Willens verfolgten und bedrängten Christen eine Stimme durch ...

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