Schmuggler wider Willen
Nordkorea

Schmuggler wider Willen

Min-jae wollte erst keine Bibeln in seine Heimat nach Nordkorea schmuggeln / Foto: HMK

Jedes Mal, wenn jemand das kleine Café in Südkorea betritt, in dem Min-jae mir seine Geschichte erzählt, zögert Min-jae kurz oder hört sogar ganz auf zu reden. Der Nordkoreaner mittleren Alters studiert ängstlich jedes Gesicht. Er weiß, dass er nie vorsichtig genug sein kann, selbst außerhalb Nordkoreas. Die Spione seiner Heimat machen auch vor der Grenze nach Südkorea nicht Halt, um Überläufer zu finden und sie an die nordkoreanische Regierung zu verraten. Die in Nordkorea lebenden Verwandten müssen dann dafür büßen.

„In Nordkorea vertraut niemand irgendwem“, sagt Min-jae. „Wir müssen sehr vorsichtig sein und unsere Worte stets sorgfältig wählen. Ich neige immer noch dazu, nervös hin- und her zu schauen.“

Mit dem Geräusch der elektrischen Kaffeemühle im Hintergrund wird Min-jae allmählich entspannter, während er mir berichtet, wie er zu einem Bibelschmuggler in dem Land wurde, das Christen am stärksten verfolgt.

Gefährliche Fracht

Min-jae wurde auf einer längeren Geschäftsreise nach China im Jahr 2004 Christ. Während seines Aufenthaltes dort hatte er die Kirche eines Freundes besucht und Feuer gefangen für die Bibel und all ihre „merkwürdigen“ Geschichten. Er ließ sich taufen und bekam seine eigene kleine Bibel auf Koreanisch geschenkt. Fünf Monate später musste er wieder in seine Heimat zurückkehren. Während er sich auf die Reise vorbereitete, kam ein Mitglied der Kirche mit einer gewagten Anfrage auf ihn zu: Ob er bereit wäre, in Nordkorea eine Sendung mit zehn darin versteckten Bibel anzunehmen?

Zuerst lehnte er ab. Es machte ihm schon genug Kopfzerbrechen, seine eigene kleine Bibel ins Land zu bringen. Sollten die Polizisten an der Grenze ihn mit nur ein paar Bibelseiten erwischen, hätten sie ihn dafür gefoltert oder womöglich sogar getötet. Min-jae wusste: Sollte eine ganze Lieferung mit Bibeln bei ihm entdeckt werden, würde er dafür sicher in einem von Nordkoreas berühmt-berüchtigten Konzentrationscamps landen.

Während er sich mit dieser Entscheidung schwertat, erinnerte er sich daran, dass er sein Leben Jesus Christus gegeben hatte und es nun nicht mehr länger sein eigenes war. Er beschloss, dem Herrn zu vertrauen. „Ich glaube jetzt an Gott und ihm ist nichts unmöglich“, dachte er. „Ich kann alles tun, was er will, auch wenn es schwierig erscheint. Vielleicht wird Gott einfach nur sein Werk tun.“

Die Lieferung traf wenige Monate nach seiner Rückkehr in Nordkorea ein. Um ein Uhr nachts an einem Novembermorgen im Jahr 2005 näherte sich Min-jae einem Boot am Ufer des Yalu-Flusses, während er innerlich betete, dass Gott ihn bewahren und bei jedem Schritt leiten möge. Nachdem er drei große Vinylsäcke geborgen hatte, hievte er sie auf seinen Rücken und rannte im Dunkeln nach Hause. Sobald er einigermaßen sicher war, öffnete er sie und fand sie dicht bepackt mit Hosen. In die Kleidung waren wahllos 10 kleine koreanische Bibeln eingewickelt.

„Ich hatte Angst und war nervös“, berichtet er. „Die Bibeln entgegenzunehmen, war das eine, aber als ich die Säcke öffnete, begann ich mich zu fragen: ‚Wie soll ich die bloß verteilen?!‘ Ich fing an zu zweifeln.“ Min-jae beschloss, die gefährlichen Bücher zu verstecken, bis Gott ihm die richtigen Empfänger dafür zeigen würde.

Schließlich, es war an einem Tag im Februar 2006 während er durch sein Dorf ging, hörte er einen Mann ein christliches Lied pfeifen. Er hatte dieses Lied selbst während seiner Zeit in China kennengelernt. Min-jae notierte sich, wo der Mann wohnte, und beschloss, ihm im Schutz der Dunkelheit einige Bibeln zu bringen. Es war schon nach Mitternacht, als Min-jae acht der zehn Bibeln wieder in die Hosen wickelte und dem fremden Mann vor die Tür legte. Er hinterließ keine Nachricht aus Angst, man könnte ihn so zurückverfolgen.

In Nordkorea kann schon der Besitz einiger Bibelseiten mit Gefängnis oder dem Tod bestraft werden / Foto: HMK

Hinter Gittern

Monate später reiste Min-jae erneut nach China mit der Absicht, zu flüchten, wurde aber im November 2006 festgenommen und nach Nordkorea ausgeliefert. Im Gefängnis traf er auf einen ehemaligen Freund, der wegen seines christlichen Glaubens verhaftet worden war. Während sie miteinander sprachen, wurde Min-jae klar, dass der Mann, dem er die Bibeln gegeben hatte, der Onkel dieses Freundes war. Er war ebenfalls verhaftet worden und wurde in einer anderen Zelle desselben Gefängnisses gefangen gehalten. Min-jaes Freund erzählte, dass sein Onkel die acht Bibeln unter Verwandten verteilt hatte, die anschließend zum Glauben gekommen waren. Die gesamte Familie von 27 Personen fing schließlich an, sich heimlich nachts zu treffen, um gemeinsam zu beten und in der Bibel zu lesen. Eines Nachts jedoch hörte ein Nachbar, wie sie Loblieder sangen, und verriet sie an die Behörden. Die Geheimpolizei durchsuchte ihr Haus und verhaftete alle.

Min-jae konnte im Gefängnis zwar nicht mit ihnen reden, aber er bekam oft mit, wie einige dieser Familienmitglieder in ihren Zellen beteten. Seinem Freund hat er nie erzählt, dass er es war, der die acht Bibeln vor der Tür seines Onkels hatte liegen lassen. Das war einfach immer noch zu riskant.

Einen Monat später wurden alle 27 Familienmitglieder einschließlich Min-jaes Freund und dessen Onkel in ein Konzentrationslager geschickt.

Wieder auf freiem Fuß

Nach sieben Monaten im Gefängnis wurde Min-jae freigelassen und im Jahr 2014 gelang es ihm schließlich, aus Nordkorea zu flüchten. Er ist immer noch besorgt um die Familie, die nun in einem Konzentrationslager leidet, und fühlt sich deswegen schuldig. Schließlich war er es, der ihnen die Bibeln zukommen ließ, die zu ihrer Verhaftung geführt haben. Auf der anderen Seite ist ihm aber auch bewusst, dass es letztendlich Gott war, der die Bibeln zur Verfügung gestellt hatte, und dass der Herr mitten in dem Elend und dem Schmerz, den sie nun für ihn ertragen müssen, bei ihnen ist. „Diese 27 Menschen sind Gottes Kinder und ich glaube daran, dass er sie auf irgendeine wunderbare Weise befreien wird“, sagt Min-jae. Er selbst ist inzwischen engagiertes Mitglied einer Kirche. Bitte stimmen Sie in sein Gebet mit ein, dass noch mehr Nordkoreaner Gottes Liebe kennenlernen!

TIPP

DVD "Sang-Chul" – Glauben in Nordkorea

Der 6-minütige Kurzfilm der HMK berichtet über den chinesischen Pastor Han Chung Ryeol, der am 30. April 2016 ermordet wurde – und zwar aus der Perspektive von „Sang-Chul“, einem Nordkoreaner, der durch das missionarische Engagement des Pastors zum Glauben gekommen ist. Die Geschichte stellt authentisch die Situation der Christen in Nordkorea dar und bietet einen packenden Einstieg für entsprechende Themen- und Gebetsveranstaltungen.

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