Wie leben Christen in Nordkorea? Darüber berichtet Eric Foley, Leiter unserer südkoreanischen Partnerorganisation, in diesem Interview* mit Missionsleiter Manfred Müller.
Manfred Müller: Wie viele Christen leben eigentlich in Nordkorea?
Eric Foley: Bei einer Einwohnerzahl von 20–25 Millionen gehen wir von 100.000 Christen aus.
Wie belastbar ist die Zahl von 100.000 Christen?
Die Frage lässt sich vielleicht am einfachsten damit beantworten, wie wir auf diese Zahlen kommen. Es sind insbesondere drei Quellen:
Zum einen sind es Verwandte der in den 1950er-Jahren nach Südkorea geflohenen Christen, die heute noch in Nordkorea leben. Ihr historisches Hintergrundwissen und die familiären Beziehungen helfen, die derzeitige Situation besser zu verstehen und Entwicklungen einzuordnen.
Nordkorea ist zwar ein Land mit sehr stark eingeschränkter Reisefreiheit. Aber Bürger, die von der Regierung als unbedenklich eingestuft werden – immerhin 30 Prozent der Bevölkerung – dürfen „reisen“. Sie sind die zweite Quelle. Meist bedeutet reisen freilich, dass sie ihre Verwandten in China besuchen oder als Leiharbeiter im Ausland arbeiten können. Daran hat die Regierung ein großes Interesse, weil so dringend benötigte Devisen ins Land kommen. Privilegierte Nordkoreaner dürfen alle paar Jahre einmal ihre Verwandten in China besuchen und berichten dann natürlich so manches.
Die meisten Informationen bekommen wir allerdings von nordkoreanischen Flüchtlingen, die nach Südkorea kommen. Das sind bis heute etwa 32.000, ein Drittel von ihnen sind Christen.
Wie leben Christen in Nordkorea?
Nordkoreanische Christen leben ihr Christsein in der Regel im Kontext der eigenen Familie. Der Besitz einer Bibel ist absolut illegal, ebenso wie das Neigen des Kopfes oder das Augenschließen wie beim Gebet. In jeder Wohnung in Nordkorea muss an repräsentativer Stelle ein Bild von Kim Il-sung oder Kim Jong-il hängen. So können die Bewohner bei jedem Abendessen auf dieses Bild schauen und sagen: „Danke, Vater Kim Il-sung für das Essen.“ Nordkoreanische Familien kennen also die Idee des „Gebets“, aber sie praktizieren es mit Fotos der quasi göttlich verehrten Herrscherdynastie. Das hat auch Auswirkungen auf das Christsein. So legen nordkoreanische Christen sehr viel Wert auf die zehn Gebote. In einem Land mit einem quasi-religiösen Staatskult schaffen die zehn Gebote unmittelbar Klarheit. „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ wird dann zum wichtigen Leitfaden.
Ist so etwas wie ein Glaubensleben möglich?
Überraschend ist, wie Nordkoreaner ihren Glauben auch öffentlich leben, wenn sie zum Beispiel auf dem Marktplatz beten, aber mit offenen Augen, um es so aussehen zu lassen, als würden sie miteinander reden. Außerdem geben sie den Zehnten, nur nicht in einer Kirche, die es ja nicht gibt, sondern auf dem Markt: Wenn sie jemanden in Not sehen, kaufen sie bei ihm ein und zahlen einfach mehr, als sie müssten.
Wir können uns kaum vorstellen, wie Christen in Nordkorea leben. Aller Wahrscheinlichkeit werden sie in ihrem ganzen Leben nie einem anderen Christen außerhalb der eigenen Familie begegnen. Dann die brutale Bespitzelung: Nordkoreaner sind gesetzlich verpflichtet, ihre Nachbarn zu überwachen und jede verdächtige Aktivität zu melden. Das funktioniert, weil durch die Anwendung einer Art „Kontaktschuld“ ein brutaler Druck aufgebaut wird. Man kann allein durch den Kontakt mit einem zu Recht oder Unrecht Verdächtigen schuldig werden. Konkret bedeutet das: Wer sieht, wie ein Nachbar nachts aus dem Haus schleicht und das nicht meldet, wird, wenn der Nachbar tatsächlich wegen etwas ergriffen werden sollte, derselben Straftat angeklagt werden.
Immer unter Druck
Von Anfang an war die christliche Gemeinde Nordkoreas eine bedrängte Gemeinde: Nach ersten Evangelisationen und Märtyrern kam es Ende des 19. Jhds. in dem schon damals relativ verschlossenen Land zu einer Erweckungsbewegung im Gebiet des heutigen Nordkoreas. Das Zentrum der Erweckung war Pjöngjang; von dort ergriff die Bewegung bald das ganze Land. Während der japanischen Besatzung (ab 1910 bis 1945) wurden Christen gezwungen, sich vor den Shinto-Schreinen der Besatzer zu verbeugen. Durch den zunehmenden Druck und die späteren Kriegswirren ging die Zahl der Christen zurück. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahmen die Kommunisten unter Führung Kim Il-sungs die Kontrolle über den Norden des Landes. Damals lebten noch rd. 90% der Christen in Pjöngjang. Mit Ausbruch des Koreakrieges 1950 flohen viele Christen nach Südkorea. Das blieb nicht ohne Folgen. Heute finden sich zehn der weltweit größten Kirchen in Südkoreas Hauptstadt Seoul – zwei davon wurden von nordkoreanischen Flüchtlingen gegründet!
Was geschieht, wenn man als Christ überführt wird?
Dann droht das Straflager. Ein Drittel der nordkoreanischen Christen ist in Straflagern inhaftiert. Da wird nicht lange gefackelt, Verdächtige verschwinden einfach über Nacht. Die Polizei deportiert dann gleich die ganze Familie und wahrscheinlich auch die Familien aus der Nachbarschaft. Das hat System. Für die Regierung ist der christliche Glaube so etwas wie eine Virusinfektion, d.h. er ist ansteckend und muss effektiv bekämpft und ausgemerzt werden. Entsprechend muss jeder, der mit diesem „Virus“ infiziert ist, gemeldet werden. Deshalb greift der Staat in das gesamte Umfeld ein. „Sippenhaft“ sozusagen.
Wo wächst die Zahl der Christen eigentlich stärker, in Südkorea oder in Nordkorea?
In Nordkorea leiden Christen nicht nur unter totalitären Restriktionen seitens des Staates; es herrscht auch eine absolute Intoleranz gegenüber christlicher Mission unter Nordkoreanern im Ausland. Trotzdem wächst die Gemeinde Jesu in Nordkorea prozentual stärker als in Südkorea. Nordkorea ist weltweit einer der schlimmsten Verfolger von Christen. Dennoch finden jeden Tag Menschen zu Jesus. Wie das? Durch das einfache Zeugnis von Christen, und das sogar noch in den Straflagern. Wenn Christen sich um die Menschen in ihrer Umgebung kümmern, Liebe üben, Essen mit anderen teilen, Notleidenden helfen, dann wird ihr Glaube erfahrbar. So kommen andere zum Glauben, weil sie erleben, wie Christen leben. Darum werden Christen weggesperrt und isoliert, damit sie bloß nicht diese Art von Einfluss auf andere ausüben! Das brutale Vorgehen der Regierung gegen die Christen macht indirekt deutlich, wie effektiv das Zeugnis der Christen ist.
Gibt es geheime Kirchen in Nordkorea, wo Menschen ihren Glauben ausleben können?
Ja! Aber unser Konzept von Kirche als ein bestimmter Ort, wo sich Menschen unter der Leitung eines Pastors versammeln, gibt es in Nordkorea nicht. Kirche ist dort anders. Es ist eine Laienbewegung. Die Zelle der nordkoreanischen Kirche ist die Familie. Natürlich wird man auch in Nordkorea nicht automatisch Christ, wenn man in eine christliche Familie hineingeboren wird. Dazu kommt, dass in den Schulen ein großer Druck auf die Kinder ausgeübt wird. Lehrer können ganz subtil vorgehen und Fragen stellen wie: „Haben eure Eltern vielleicht ein besonderes Buch zu Hause?“ „Singt ihr in der Familie besondere Lieder?“ „Schließen Familienmitglieder bei euch vielleicht manchmal die Augen und reden dabei?“ Aus diesem Grund erzählen Eltern ihren Kindern erst im Teenager-Alter von ihrem Glauben. Kleine Kinder könnten sonst aus lauter Unachtsamkeit die Familie verraten.
Trotzdem gibt es Gemeinde Jesu in Nordkorea. Das Gemeindeleben kann eine leise Unterhaltung am Arbeitsplatz sein, bei der Feldarbeit, beim Gebetstreffen im Straflager. Weil das Gemeindeleben nicht an ein Gebäude oder an einen Pastor gebunden ist, ist die Gemeinde Jesu viel unabhängiger und breitet sich dementsprechend aus.
„Wir haben nur Jesus. Aber wir haben herausgefunden, dass Jesus genügt.“
Wie können wir für nordkoreanische Christen beten?
„Wie können wir für euch beten?“ Das war die erste Frage, die ich dem ersten nordkoreanischen Christen aus der Untergrundkirche gestellt habe, dem ich jemals begegnet bin. Er antwortete: „Für uns beten? Wir beten für euch!“ Ich dachte: Da muss wohl etwas mit der Übersetzung schief gegangen sein! Warum sollte er für uns beten? Wir kommen aus den Vereinigten Staaten. Wir sind frei, unabhängig. Warum sollte er für uns beten?! Er sah die Überraschung in meinem Gesicht und sagte: „Das ist das Problem mit euch Amerikanern. Ihr habt so viel! Ihr habt viel Geld, viel Freiheit, so dass Ihr letztlich an euer Geld und an eure Freiheit glaubt. Wir nordkoreanischen Christen haben weder Geld noch Freiheit. Wir haben nur Jesus. Aber wir haben herausgefunden, dass Jesus genügt.“ Und diese Erkenntnis geben die Christen weiter und bringen so Hoffnung in das Land der Bedrängnis.
* Das Interview wurde von Elisabeth Müller aus dem Englischen übersetzt und ist in Auszügen wiedergegeben.
Die HMK in Nordkorea
Wir helfen auf vielfältige Weise, können aus Sicherheitsgründen aber keine konkreten Angaben zu unserer Arbeit vor Ort machen. Wir helfen,
- das Evangelium nordkoreanischen Leiharbeitern zu bringen.
- Nordkoreanern, die als Flüchtlinge nach Südkorea gekommen sind, mit seelsorgerlicher Betreuung und biblischer Ausbildung.
- durch humanitäre Projekte, damit die Liebe Gottes sichtbar werden kann und Menschen einen Zugang zu Gott finden können.
Bitte beten Sie für Nordkorea. Wenn Sie die Arbeit in Nordkorea unterstützen wollen, freuen wir uns über Ihre Spende unter dem Stichwort „NK“.
Anteilnehmen und Lernen
„Stimme der Märtyrer“ – Das Magazin der Hilfsaktion Märtyrerkirche
Das Magazin gibt den um ihres Glaubens Willens verfolgten und bedrängten Christen eine Stimme durch ...
- authentische Berichte von Glaubensgeschwistern,
- ergreifende Reportagen über ungewöhnliche Erlebnisse,
- interessante Länder-Infos und
- aktuelle Gebetsanliegen.