Gefangen in Nordkorea – Wie ich im Straflager Gott erlebte
Nordkorea

Gefangen in Nordkorea – Wie ich im Straflager Gott erlebte

Interview mit Kenneth Bae

Nordkorea gilt als eine der schlimmsten Diktaturen der Welt. Der Personenkult um den – vor über 20 Jahren verstorbenen – Führer und Gründer der Volksrepublik Nordkorea, Kim Il-sung, verlangt von den Untertanen grenzenlose Unterwerfung und Verehrung. Mittlerweile wird dieses kommunistische Land in dritter Generation von Kim Jong-un regiert. Die Not im Land ist mit Händen zu greifen. So sind die Erinnerungen an die letzte Hungersnot noch lebendig. Über zwei Millionen Nordkoreaner, so die Schätzungen, sind in den Jahren 1995 bis 2003 verhungert. Und Generationen von Nordkoreanern verhungern geistlich.

Kenneth Bae hat diese Not gesehen und gehandelt. Mit einer Gruppe von Betern ist er in das Land gereist. Doch während dieses Aufenthaltes wurde er verhaftet. Nach 735 Tagen Arbeitslager wurde er auf Drängen der US-amerikanischen Regierung begnadigt und durfte das Land verlassen. Im folgenden Interview berichtet er von seiner Zeit in Gefangenschaft.

Kenneth, Sie wurden zu 15 Jahren Arbeitslager in Nordkorea verurteilt. Wären Sie nicht US-Staatsbürger, hätten Sie mindestens lebenslänglich, wenn nicht die Todesstrafe bekommen. Wie lautete die Anklage gegen Sie?

Laut meiner Haftakte bin ich ein Terrorist, der wegen umstürzlerischer Umtriebe gegen die Regierung der «Demokratischen Volksrepublik Korea» (auch als Nordkorea bekannt) angeklagt und für schuldig befunden ist. Ich bin Missionar. Für das Regime dort ist ein Missionar das Gleiche wie ein Terrorist, die beiden Ausdrücke sind austauschbar.

Missionar gleich Terrorist? Wie ist das zu verstehen?

Die Regierung von Nordkorea betrachtet das Evangelium von Jesus Christus als tödliche Gefahr. Sie weiß genau, wenn sie zulässt, dass die Botschaft von Jesus in ihrem Land unter die Leute kommt, wird das gesamte System fallen, und so wurde ich wegen Komplotts zum Sturz der Regierung angeklagt und verurteilt, obwohl ich weder Bibeln verteilt noch evangelistische Gottesdienste gehalten habe. Ich war Missionar in China und brachte Besucher nach Nordkorea, um für das Volk zu beten. Das Land gehört zu einem der am meisten abgeschotteten Länder der Erde. Alles, was die Nordkoreaner kennen und glauben, ist die Propaganda, mit der sie tagaus, tagein im staatlichen Radio und Fernsehen bombardiert werden. Die einzig erlaubte Religion ist die Verherrlichung und Anbetung des Führers, Kim Il-sung.

Wochenlang wurden Sie verhört. Was sagten Sie Ihren Anklägern? Tat man Ihnen Gewalt an?

Gefoltert im eigentlichen Sinne wurde ich nicht. Ich litt aber unter Schlafentzug, Kälte in der Nacht und die Essensportionen waren minimal. Einen Monat lang wurde ich von morgens früh bis Mitternacht befragt. Sie wollten aus mir ein Geständnis herauspressen, wissen, wer mein Auftraggeber sei. „Gott“, erklärte ich ihnen. „Ich bin mit Besuchern hierhergekommen, weil ich das Volk von Nordkorea liebe und wir für es beten wollten. Warum regen Sie sich so auf? Sie glauben doch gar nicht an Gott. Was ist denn so schlimm daran, wenn wir zu einem Gott beten, an dessen Existenz Sie nicht glauben?“, fragte ich meinen Verhörer. „Wir haben einen Gott, und sein Name ist Kim ll-sung. Da Sie an einen anderen Gott glauben, sind Sie hierhergekommen, um gegen uns und gegen unseren Großen Führer zu beten. Das wird unser Land zerstören. Sie kommen hierher mit anderen Christen, erzählen den Menschen von Ihrem Gott und irgendjemand wird Ihre Lügen glauben. Wie ein Virus wird das unser Volk infizieren. Aus einem Christen werden Tausende. Die Menschen werden den Glauben an den Großen Führer verlieren. Und das wird das Ende unserer großen Nation sein.“ Mann, dachte ich. Der hat kapiert, was für eine Macht das Gebet hat. Und dass die Kraft des Evangeliums ein ganzes Land umkrempeln kann. Die alle kapieren das. Darum haben sie solche Angst. Ich bin nicht gefährlich, aber Jesus ist gefährlich. Ich konnte nichts mehr zu meiner Verteidigung sagen. Alles, was er sagte, stimmte ja, außer, dass mein großes Ziel der Sturz der nordkoreanischen Regierung war. Ich war nicht dazu gekommen, sondern um den Menschen zu zeigen, dass Gott sie liebte und sie nicht vergessen hatte.

Kenneth Bae auf einer Pressekonferenz
Kenneth Bae während seiner Gefangenschaft

Wie sah Ihr Gefängnisalltag aus?

Ich musste um sechs Uhr aufstehen und arbeitete von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends, sechs Tage die Woche. Ich musste auf dem Feld in der Landwirtschaft arbeiten, Tunnel graben, Steine schleppen und Kohle schaufeln. Die Temperaturen variierten von 38 Grad Celsius bis minus 18 Grad. Man befahl mir, nach der Arbeit bis zehn Uhr abends auf dem Stuhl zu sitzen, bevor ich ins Bett gehen durfte. Das Essen war minimal: Reis, Suppe, wenig Gemüse. Ich war der einzige Gefangene im Arbeitslager, 30-40 Wärter waren für mich zuständig. Anfangs behandelten sie mich schlecht. Doch als ich ein „Ja“ dazu fand, dass Gott mich auch hier im Gefängnis gebrauchen wollte, fing ich an, für meine Wärter zu beten, und konnte ihnen mit Gottes Hilfe anders begegnen. Sie fingen an, mir ernsthafte Fragen zu stellen, z. B.: „Wenn ich an Gott glauben würde, wie du es tust, was hätte ich davon? Was muss ich deiner Kirche bezahlen? Wenn Gott real ist, weshalb bist du noch hier? Niemand ist so lange hiergeblieben, wie erlebst du das?“ Ich sagte ihnen, dass Gott vielleicht einen anderen Plan hat. Sein Plan würde sie vielleicht einschließen. Ohne mich im Gefängnis könnten sie nichts über Gott hören. Als ich freigelassen wurde, sagte der Gefängnisaufseher mit Tränen in den Augen: „Auf Wiedersehen.“ Ich war ein Missionar, den Gott in ein Arbeitslager nach Nordkorea geschickt hatte.

Wie sind Sie ganz konkret mit der Einsamkeit in der Zelle, mit Mutlosigkeit – mit Gedanken, dass Gott sie vergessen hat – umgegangen? Die Anfechtungen müssen riesig gewesen sein ...

Ich war die ganze Zeit alleine. Ich aß 2.205 Mahlzeiten alleine. Ja, es war oft einsam!

Doch wegen Gottes Versprechen am dritten Tag meiner Haft, dass er bei mir ist und mich befreien würde, hoffte ich auf den Herrn und dass sein Wille geschehen möge. Wenige Tage nach meiner Inhaftierung bekam ich meine Bibel. Ich las darin, lobte Gott jeden Tag und betete zu ihm. Gott gab mir über 700 Verse, die mich ermutigten, durchzuhalten und ihm zu vertrauen. Weiter half mit das Wissen, dass über 177.000 Leute eine Petition für meine Freilassung unterschrieben hatten, und die Briefe, die Leute mir schickten, halfen mir durch jeden Tag. Viele Leute schrieben mir und sagten: „Kenneth, du bist nicht vergessen. Wir stehen hinter dir und beten für dich. Halte durch!“ Ein schlimmer Moment war das Weihnachtsfest 2012, das ich – wie auch 2013 – im Gefängnis verbringen musste. Ich sang den ganzen Tag und spürte, dass der Herr wirklich „Immanuel“, Gott mit uns, ist. Gott hielt sein Wort. Er verließ mich nie, genauso, wie er es versprochen hatte. Selbst in den Stunden, als ich innerlich am Boden lag, die Hoffnung verloren hatte und mich vom Rest der Welt vergessen und verlassen fühlte, war Gott da. Selbst als ich an seinen Verheißungen zweifelte, hielt er sie. Er sprach zu mir – durch Bibelstellen und Zeichen, ja durch so einfache Dinge wie eine Schale kalter Nudelsuppe. Wenn man sich an Gottes Verheißungen klammert und ihn beim Wort nimmt, geben sie einem echte Hoffnung – und Hoffnung gibt Leben. In Psalm 119,50 heißt es: „Das ist mein Trost in meinem Elend, dass dein Wort mich erquickt.“ Ja, Jesus war mein Trost und meine Hoffnung und auf diese Hoffnung habe ich mein Leben gebaut.

Immer wieder haben sich Ihre Hoffnungen, freizukommen, zerschlagen.

Ich musste wählen, ob ich für mich selbst oder für Gott leben wollte. Ich musste meinen Willen ihm unterstellen und gab das Recht auf, nach Hause zu gehen, und bat darum, dass er mich brauchen konnte. Es war eine extrem schwere Entscheidung, die ich treffen musste, aber es stellte sich heraus, dass es die beste Entscheidung war, die ich jemals getroffen hatte. Ich wurde befähigt, für Gott zu leben, den ich liebe, und ihm als Missionar zu dienen. Ich fühlte mich, als ob ich so ein richtiger Missionar wurde. Während meiner Gefangenschaft lernte ich: Wenn ich Gott wirklich vertrauen will, muss ich meine „Rechte“ aufgeben. Mein Leben muss sich um seinen Willen und Plan drehen und nicht um meinen. Ich lernte, dass Jesus es wert ist, dass man für ihn lebt, ja, dass man für ihn ins Gefängnis geht. Endlich begriff ich, was es bedeutet, sich mitten im Leiden zu freuen. Ich erlebte die seltene Ehre, für seinen Namen geschmäht zu werden. Und es hat mich gelehrt, Mitleid mit denen zu haben, die ohne Hoffnung leben, mit den Menschen in Nordkorea, die in Finsternis leben. Mein Herz blutet für Nordkorea, so wie Gott auch über mich seine Barmherzigkeit ausgeschüttet hat. „Meinen Frieden gebe ich euch.“ Nur der Herr kann uns Frieden geben, der anhält. Ich lernte, dass wenn wir unsere Augen auf ihn gerichtet halten und ihm vertrauen, wir auch in schwierigen Zeiten seine Nähe und seinen Frieden erfahren.

Sie haben ein Buch über Ihr Erleben geschrieben und halten Vorträge.

Ja. In Lukas 8,39 steht: „Geh wieder zu deiner Familie und erzähle dort, was Gott für dich getan hat!“ Das möchte ich tun. Wer kann gegen uns sein, wenn Jesus für uns ist? Bis ans Ende der Zeit, seine Liebe bleibt in Ewigkeit, was für eine Hoffnung! Auch dank der Gebete von Menschen aus aller Welt konnte ich meine Strapazen durchstehen und verlor die Hoffnung auf Freilassung nicht. Doch jetzt gilt es weiterzubeten. Gott hat mir auch neu vor Augen geführt, dass seine Leute die Menschen, die in Finsternis gefangen sind, nicht vergessen dürfen. Wir sollten täglich an die Vergessenen dieser Welt denken. Ich hatte durch Gruppenreisen dreihundert Christen nach Nordkorea gebracht, um dort zu beten, in der Überzeugung, dass eines Tages die geistlichen Mauern, die dieses Land umgeben, einstürzen werden. Und so bitte ich die vielen, vielen Menschen, die während meiner Haft für mich beteten: Betet weiter – betet für Nordkorea. Wir müssen für die Befreiung aller Menschen beten, die in den Ketten der Finsternis leben.

von Daniela Wagner / ethos 4/2018  (ethos.ch)

Die HMK in Nordkorea

Wir investieren in einige Projekte in Nordkorea, durch welche die Liebe Gottes aller Widerstände zum Trotz weitergegeben wird. Außerdem helfen wir nordkoreanischen Christen, im Glauben zu wachsen. Sie können uns dabei unterstützen, indem sie unter dem Stichwort „Nordkorea“ spenden. Vor allem aber: Bitte beten Sie mit uns für Nordkorea! Vielen Dank.

Buchtipp

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Lesen Sie den ausführlichen Bericht von Kenneth Bae: Gefangen in Nordkorea Wie ich im Straflager Gott erlebte Kenneth Bae/Mark Tabb

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