Hoffnung in großer Not
Libanon

Hoffnung in großer Not

Camille Melki

Unser HMK-Projektpartner hat eine Organisation gegründet, die sich um die unzähligen Flüchtlinge kümmert, die vor allem aus Syrien in den Libanon geströmt sind. Tagtäglich ist er mit unvorstellbarem Leid konfrontiert und erlebt gleichzeitig Gottes wunderbares Wirken: Viele Muslime werden Christen, sie erleben Heilung und Wiederherstellung. Doch wo die Gemeinde Gottes wächst, gibt es auch Verfolgung: Viele dieser neugeborenen Christen können ihren Glauben nicht ohne weiteres in den Flüchtlingscamps bekennen. Camille Melki, Leiter dieser Organisation, berichtet darüber in einem Interview.

Sie haben selbst den Bürgerkrieg im Libanon in ihrer Kindheit und Jugend miterlebt. Was für Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ja, ich war neun Jahre, als 1975 der Bürgerkrieg in meiner Heimat Libanon ausbrach. Immer wieder musste unsere Familie nach einem sicheren Platz für uns alle suchen. Um mich herum wurden Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit entführt und getötet. Die Firma meiner Eltern wurde sieben Mal zerstört, mein Elternhaus eingeäschert. Wir hatten eine kleine Wohnung gekauft für den Anfang unserer Ehe, sie wurde zerstört. Wir wissen, wie schwer das alles ist. Den Krieg zu erleben bedeutet, zusehen zu müssen, wie liebe Menschen getötet werden oder das Zuhause zerstört wird – oder zu erleben, wie eine Familie zerstreut wird, weil jeder woanders Unterschlupf findet. Wir haben aber in dieser Zeit ganz besonders die Liebe von Jesus erlebt durch unsere Geschwister im Glauben. Menschen haben uns gerettet und für uns gebetet. Ich weiß, Christen auf der ganzen Welt haben für uns im Libanon den Himmel bestürmt. Ich habe also nicht nur traurige, sondern auch sehr schöne Erinnerungen an die Kriegsjahre. Es ist einfach wunderbar, wenn die christliche Gemeinde sich so liebevoll kümmert und ihre Liebe gerade denen schenkt, die am meisten verletzt wurden.

Wie lebt man mit solch schlimmen Erinnerungen weiter?

Wissen Sie, wir müssen uns entscheiden: Entweder wir wählen die Vergebung und kommen dadurch voran im Leben oder wir entscheiden uns dafür, diesen tödlichen Hass weiter in uns zu tragen, was uns das Leben schwer macht.

Die Lage ist hart für uns Libanesen. Der Großteil der libanesischen Bevölkerung lebt jetzt im Ausland. Auch in meiner Familie. Heute schätzt man die Bevölkerung im Libanon auf vier Millionen. Zwölf Millionen aber leben zerstreut auf der ganzen Welt.

Ich habe viel mit der Warum-Frage gekämpft. Zum Beispiel: Warum kommt immer dann ein neuer Krieg, wenn wir Libanesen die Hoffnung haben, dass es besser wird in unserem Land? Durch diesen inneren Kampf hat mein Dienst begonnen. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes mit Gott gestritten. Es ist aber auch ein wunderbarer geistlicher Prozess, durch den Gott meine Frau und mich geführt hat. An einem Punkt hat er uns an den blinden jungen Mann erinnert, den die Jünger zu Jesus brachten. Sie fragten ihren Meister, warum er blind ist. Bezahlt er für seine eigene Sünde oder für die Sünde seiner Eltern? Die Antwort von Jesus hat mich zutiefst verblüfft. Jesus sagte zu den Eltern: “Keiner von beiden – aber er hat dieses Handicap, damit der Name des Herrn durch ihn verherrlicht wird.”

Wir stellen Gott unsere Warum-Fragen. Oft geht er nicht erkennbar für uns darauf ein. Der Allmächtige ist uns auch keine Rechtfertigung schuldig. Er ist der Gott des Universums und wir leben einer zerbrochenen Welt. Unsere Frage sollte also nicht warum sein, sondern wie. Wie kann Gottes Name geehrt werden mitten in aller Zerstörung und in allen Ängsten, in der zerbrochenen Welt und in dem schrecklichen Hass?

Gott möchte, dass wir die Hände und Füße von Jesus sind. Wir können Hoffnung zu den Hoffnungslosen bringen. Wir können uns um die Hilflosen kümmern und die Liebe von Jesus vielen Menschen bringen. Unsere Arbeit wird davon angetrieben, dass wir uns eins machen mit dem barmherzigen Herzen von Jesus.

Etwa 1.800 Flüchtlingsfamilien besucht unser Projektpartner monatlich

Ihre Organisation wurde lange vor der Syrienkrise gegründet. Inzwischen macht sie den Hauptteil Ihrer Arbeit aus. Können Sie uns etwas über die derzeitige Situation im Libanon berichten?

Im März 2011 – das heißt vor acht Jahren – ist der Krieg in Syrien ausgebrochen. Es ist die wohl größte humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. In den letzten 75 Jahren hat es keinen Krieg und keine Naturkatastrophe gegeben, die mehr Zerstörung und Tote gefordert hat.

Fünf Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen: in die Türkei, nach Jordanien, in den Irak oder in den Libanon – und von dort aus in die ganze Welt. Der Libanon aber hat die höchste Anzahl an Flüchtlingen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Bei uns leben vier Millionen Libanesen und ungefähr zwei Millionen Flüchtlinge, meist aus Syrien, aber auch aus dem Irak und aus Palästina. Das alles zusammen bedeutet, unsere Bevölkerung ist um 50 % gewachsen durch Flüchtlingsmigration. Kein Land in der Welt hat eine Infrastruktur, die das auffangen kann. Es fehlt uns an Wohnraum, Strom, Wasser, Schulen und Krankenstationen. Der Arbeitsmarkt im Libanon kann so einen Zuwachs nicht verkraften. Es sind einfach zu viele Leute in zu kurzer Zeit gekommen.

Unsere libanesische Bevölkerung ist gespalten. Einige unterstützen das Regime im Nachbarland Syrien, andere völlig dagegen. Das spielt eine wichtige Rolle in den Auseinandersetzungen um unsere Migranten. Es gibt schon ein gewisses Maß an Feindseligkeit und Frustration zwischen dem Gastgeberland Libanon und der Flüchtlingscommunity in unserem Land. Manche Leute sagen sogar, nachdem Syrien uns erst fast 30 Jahre mit seiner Armee besetzt hatte, gibt es jetzt eine unbewaffnete Besatzung durch die vielen Flüchtlinge, aber mit ähnlichen Auswirkungen.

Ich glaube, viele Libanesen haben das mit der Vergebung nicht so richtig auf die Reihe bekommen – auch in den christlichen Gemeinden wäre es einfacher, über Vergebung zu predigen, wenn die Flüchtlinge wieder zu Hause in Syrien wären. Aber es ist eine andere Sache, diese Vergebung zu leben, wenn wir durch unsere alltäglichen Probleme ständig an die Flüchtlinge erinnert werden.

Vergeben ist wirklich kein Kinderspiel für uns. Es ist eine tagtägliche Prüfung. Aber Gott gibt uns die Kraft dafür. Wenn wir die christliche Gemeinde im Libanon nicht auffordern, aus der Vergebung heraus zu leben, werden wir den Auftrag von Jesus nicht erfüllen können.

Die Flüchtlinge leben also teilweise seit acht Jahren in Zeltstädten. Wie sieht es mit ihrer Integration aus?

Diese Integration ist äußerst schwierig. Alle unsere Gesetze arbeiten im Prinzip dagegen. Die syrischen Flüchtlinge dürfen bei uns nicht leben wie wir Libanesen. Sie haben keinen freien Zugang zu Bildung und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Eine Beschäftigung zu finden, ist für sie ganz schwierig. Wir haben sie zwar aufgenommen, aber es gibt so viele Einschränkungen für sie. Das ist ein riesiges Problem. Wenn wir den einzelnen Menschen nicht ihre Menschenrechte gewähren, wächst in ihren Herzen Frustration und Zorn. Das ist ein guter Nährboden für Radikalismus und für Propaganda.

 Sie gehen in die Flüchtlingslager. Was genau tun sie dort?

Wir möchten die Flüchtlingsfamilien begleiten und sicher gehen, dass sie das bekommen, was zum Überleben notwendig ist: also ein Grundbedarf an Nahrungsmitteln und Hygieneprodukten, ein Basisgesundheitscheck und Schulbildung für die Kinder. Auch Alphabetisierungskurse und Informationen, damit sich die Lagerbewohner nicht vom Rest der Welt völlig abgeschnitten fühlen. Nicht zuletzt wollen wir ihnen Würde und Selbstvertrauen geben mit unseren Aktivitäten.

Aber das Wichtigste, das Sie mitbringen, ist wahrscheinlich Ihre Zeit?!

Das ist absolut richtig. Wir besuchen im Schnitt 1.800 Familien im Monat. Denen bringen wir ein großes Paket mit Lebensmittel und anderem. Am wichtigsten aber ist, dass wir die Pakete nicht einfach nur dalassen. Nein, wir bringen Zeit mit. Wir hören uns die Geschichte jeder einzelnen Familie an. Wir haben Zeit für Leute, den ganzen Tag lang nichts zu tun haben. Für sie ist es wichtig, zu wissen, dass sich jemand für sie interessiert. Und sie haben dann Fragen an uns. Sie wissen ja, wie wir gelitten haben unter der Besatzung durch die Syrer. Warum macht ihr das nur, heißt es dann. Tut ihr das für eine politische Partei oder für eine Religion? Nein, sagen wir, wir machen das, weil wir die Liebe von Jesus erlebt haben. Und dann antworten sie uns, über diesen Jesus wollen sie auch mehr erfahren. Über diesen Gott, an den wir glauben.

Zwei Drittel der Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche
Viele syrische Frauen haben ihre Männer durch den Krieg verloren und müssen ihre Kinder nun allein versorgen

Können Sie uns solch eine Geschichte erzählen?

Es gibt sehr viele und die Namen kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Da war zum Beispiel ein junges Mädchen, deren Eltern unser Lebensmittelpaket bekamen. Sie war sehr früh verheiratet worden. Ihr Ehemann hatte sie missbraucht. Sie ist dann in den Libanon geflohen. Ihre Geschwister sind beim Grenzübertritt ums Leben gekommen. Als wir mit ihr in Kontakt kamen, hatte sie gerade wieder versucht, Selbstmord zu verüben. Aber während sie bei uns auf ihr Paket wartete, entdeckte sie, dass bei uns etwas anders ist. Sie wollte wissen, warum unsere Leute so einen spürbaren Frieden ausstrahlen, so eine Freude.

Dann haben zwei Mitarbeiterinnen dieser jungen Frau ihre eigene Geschichte erzählt. Um es kurz zu machen: Sie wurde Christin und bat um die Taufe. Später wurde sie dann eine Mitarbeiterin im Team. Sie, die ihr Leben wegwerfen wollte, wurde eine ganz wunderbare Botin für Jesus und gibt jetzt seine Liebe an andere weiter.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der ganzen Zerstörung und dem Leid auf der einen und dem wachsenden Interesse an Jesus Christus unter Muslimen auf der anderen Seite?

Ich sehe da auf jeden Fall einen Zusammenhang. Aber wir müssen vorsichtig sein. Gott lässt ja nicht die Kriege zu, damit seine Gemeinde wächst. Doch in den Zeiten der Not läutert Jesus seine Gemeinde. Im Nahen Osten haben wir das an vielen Stellen erlebt, besonders in und um Syrien. Die muslimischen Menschen stellen viele Fragen. Ist der Islam die wahre Religion? Warum gehen wir durch all diese Schmerzen und dieses Leid? Warum töten Muslime Muslime? Und wir haben eine Hoffnung im Herzen, können ihnen von einer Alternative berichten. Wenn wir das nicht tun, geraten sie wahrscheinlich in die Fänge von radikalen islamistischen Kämpfern.

Ich glaube, dass diese Fragen heute in ganz vielen Menschen aus dem Islam bohren. Wir müssen ihnen helfen. Wir wollen ja nicht, dass sie weiter leiden. Und wir möchten so gerne, dass ihr zerbrochenes Leben wieder hergestellt wird. Jesus sieht ihr Elend und weint darüber. In der Bibel lesen wir an vielen Stellen, wie das Handeln Jesu von Gottes Barmherzigkeit bestimmt wird. Er begegnet der Witwe, die ihren einzigen Sohn beerdigen muss und hat Mitleid mit ihr. Er hat Mitgefühl mit den hungrigen Menschenmengen, die ihm zuhören. Alles, was er tut, ist von seinem Erbarmen bestimmt.

Menschen aus dem Islam brauchen Jesus, Christen aber auch. Die ganze Welt braucht ihn. Das ist unsere Chance. Die Gemeinde von Jesus wächst dort am meisten, wo Menschen diese Fragen stellen und wo es Leute gibt, die auf diese Fragen eingehen. Unser Auftrag ist, auf Jesus hinzuweisen.

Ganze Gemeinden sind durch Ihren Dienst entstanden. Wie ist es für ehemalige Muslime, sich in diesem Umfeld nun zum Glauben an Jesus Christus zu bekennen?

Das kostet schon etwas, aber wir sind auch sehr glücklich über die Religionsfreiheit im Libanon. Unsere Verfassung garantiert allen Glaubensrichtungen freie Religionsausübung, ohne dass sie verfolgt werden. Aber es geht um die Flüchtlingsbevölkerung. Sie kommen aus Stammesgesellschaften. Da kann es auch Konflikte zwischen ihnen geben. Wir müssen immer aufpassen und sehr weise sein, wie wir unsere Arbeit tun.

Bei uns gibt es Leute mit armenisch-christlichem Hintergrund, aus den traditionellen christlichen Gemeinden und dann eben die sunnitischen oder schiitischen Moslems und auch Kurden. Menschen aus all diesen verschiedenen Ethnien feiern gemeinsam und beten zusammen Jesus an. In einem Gebäude. Ich sage Ihnen immer, es kommt nicht darauf an, was ihr vor eurer Zeit mit Jesus wart. Es kommt nur darauf, wer ihr jetzt in Jesus seid. Ihr lebt nun als Menschen, die er neu geschaffen hat. Gott hat uns völlig verändert und das feiern wir. Es gibt Ängste und Sorgen – ja, wir müssen vorsichtig sein. Aber jedes Mal, wenn ich einen unsere Gottesdienste besuche, muss ich weinen. Vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien waren wir als Christen ziemlich isoliert im Libanon. Jetzt aber ist es eine Gemeinschaft aus vielen Völkern, die zusammen Jesus anbeten.

Können Sie uns von Menschen erzählen, die Christen geworden sind und sich Ihrer Gemeinde angeschlossen haben?

Da gibt es natürlich viele Geschichten. Ein junger Mann mit kurdischem Hintergrund beispielsweise hat eine Beziehung zu Jesus Christus gefunden und über 80 Personen aus seinem Umfeld mitgenommen. Er ist wirklich so etwas wie ein moderner Paulus. Dabei hat er keine besondere Ausbildung und noch keine Bibelschule besucht, aber Gott hat einen unglaublichen Eifer in sein Herz hineingelegt. Er hat eine enorme Energie und sorgt sich äußerst liebevoll um seine Landsleute.

Unsere Gemeinschaften sind noch wie kleine Kinder im Glauben. Wir müssen Unterricht in der Bibel und im Evangelium geben. Aber Gott wirkt so viel unter ihnen. Etwas ganz Besonderes sind für mich unsere Taufgottesdienste, wenn junge Leute und ältere zusammen ihre Taufe erleben. Da müssen wir besonders vorsichtig sein und können das nicht öffentlich feiern – auch nicht überall im Libanon. Aber der gute Hirte fügt viele, viele Schafe zu seiner Herde hinzu.

Wir haben auch viele Flüchtlinge aus dem Irak. Es ist nicht leicht, über ihre Geschichten zu sprechen. Viele von ihnen haben dort im Krieg gekämpft und dabei auch eine Menge schrecklicher Taten verübt – im Namen der Religion, an die sie damals glaubten. Jetzt sprechen diese Leute über Jesus und geben das Evangelium weiter an andere.

Auszug aus einem Interview mit freundlicher Genehmigung des ERF

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