Am richtigen Platz
Usbekistan

Am richtigen Platz

Der Polizist schaute sich eines der Familienfotos an der Wand an, dann drehte er sich zu Zamira um und sagte mit einem spöttischen Lächeln: „Sie sehen blass und abgemagert aus – Sie müssen ja krank sein.“ Wenige Minuten zuvor hatte er mit seinem Kollegen an die Wohnungstür gehämmert und der ängstlichen Zamira den Durchsuchungsbefehl gezeigt. Sie waren durch die Wohnung getrampelt und hatten den usbekischen Brauch ignoriert, sich die Schuhe auszuziehen, wenn man ein Haus betritt. Sie durchwühlten Schränke und Kommoden, während Zamira und ihre drei Söhne verängstigt im Wohnzimmer saßen.

Es war nicht das erste Mal, dass die Polizei in ihr Zuhause eingedrungen war, aber es war trotzdem eine schreckliche Erfahrung. Vor allem, weil Zamiras Mann Atamurat nicht zu Hause war. Nachdem er und sein Kollege die Wohnung verwüstet hatten, sagte der Polizist: „Sie müssen nur wie alle anderen sein, dann wird auch niemand mehr kommen und Sie so stören wie heute. Hören Sie einfach auf, weiterhin ein aktives Leben als Christ zu führen.“

Hausdurchsuchungen wie diese kennen Pastor Atamurat und seine Familie schon seit vielen Jahren nur zu gut: Aufgrund ihres Glaubens und ihrer christlichen Arbeit müssen sie eine intensive Staatsüberwachung ertragen. Dieser anhaltende Stress hat Spuren an Zamira hinterlassen, sie leidet an Depression und einem starken Gewichtsverlust, wie der Polizist so zynisch festgestellt hatte.

Zamira und Atamurat fallen auf, weil die meisten Usbeken Muslime sind. Christen, die sich nach der Bibel richten, werden von ihnen als eine unbedeutende kleine Sekte betrachtet. Dass Zamira Christin wurde, verdankt sie ihrer Mutter, die früher in Russland gearbeitet hat und dort gläubig wurde. Sie erzählte ihrer Tochter begeistert von ihrem Glauben und so wurde Zamira schon als Teenager ebenfalls Christin. Damals kannten sie in ihrer Stadt keine anderen Christen.

Zweieinhalb Jahre Gebet

Dann kam Zamira auf die Universität und verliebte sich in ihrem zweiten Jahr in einen muslimischen Mitstudenten, der Atamurat hieß. Er bezeichnete sich als Muslim. Zamira erzählte ihm viel von ihrem Glauben, aber er blieb skeptisch. Zweieinhalb Jahre lang betete Zamira für Atamurat und erklärte ihm das Evangelium. Eines Tages geschah das Wunder: Atamurat wollte auch zu Jesus gehören. Eine Woche, nachdem er Christ geworden war, heirateten sie.

Das junge Ehepaar kannte keine anderen Christen in ihrer Gegend, einer autonomen Region mit ihrer eigenen Sprache und Kultur. Nach dem Ende des Stu- diums verbrachten sie ein Jahr auf einer Bibelschule. Danach kehrten sie wieder in ihre Heimat zurück. Atamurat begann, die Bibel aus dem Russischen in ihre Muttersprache zu übersetzen, ins Karakalpakische. „Ich fing mit dem Matthäusevangelium an“, sagte er. „Ich verstand alles viel besser, als ich mir darüber Gedanken machte, wie ich die Texte am besten übersetzen konnte. Irgendwie ist das Übersetzen eines Bibeltextes das beste Bibelstudium. Mehr und mehr verstand ich Gottes Reden zu mir durch die Bibel, und in mir wuchs der Wunsch, das weitergeben zu können.“ Atamurat und Zamira erzählten Freunden und Familienmitgliedern von ihrem Glauben und einige wollten auch ein Leben mit Jesus anfangen.

Der dauerhafte Druck hat seine Spuren vor allem an Zamira hinterlassen.

Gefahr für die Hausgemeinde

Zamira und Atamurat gründeten eine kleine Hausgemeinde, die vier Jahre lang von den Behörden unbemerkt blieb. Im Jahr 2007 war die Gemeinde auf 30 Personen angewachsen. Da veränderte sich die Lage, Christen wurden in dieser Gegend auf einmal mehr als bisher verfolgt. Christliche Gemeinden mussten sich offiziell registrieren lassen – aber diese Registrierungen wurden den Gemeinden vielfach verweigert. Das machte ihre Treffen illegal. Die Mitglieder von Zamiras und Atamurats Hausgemeinde konnten sich von daher nur noch in kleinen Gruppen zusammenfinden. Die Polizei führte immer häufiger Hausdurchsuchungen bei Personen durch, die als Christen bekannt waren. Dabei beschlagnahmten sie Mobiltelefone und Laptops und nahmen Christen auf die Polizeistation mit, um sie dort stundenlang zu verhören. Die Gemeindeleiter mussten dann eine Strafe zahlen. Diese verstärkte Kontrolle veranlasste Atamurat und andere Gemeindeleiter, ihre Taktik zu ändern. Sie trafen sich jetzt nicht mehr regelmäßig am gleichen Ort, sondern änderten den Treffpunkt von Woche zu Woche. Die Vereinbarungen dazu wurden einfach mündlich weitergegeben.

Eines Sonntagmorgens hatten sie keinen Treffpunkt gefunden. Atamurat betete, dass jemand von der Gemeinde bereit wäre, das Risiko auf sich zunehmen, die anderen Gemeindeglieder zu sich einzuladen. „Herr, wo willst du dich heute mit deiner Braut treffen?“ fragte Atamurat. Schon bald danach bekam er einen Anruf von einer Frau aus der Gemeinde. „Ich hatte vor drei Tagen Geburtstag, bitte kommt zu mir“, sagte sie in der vereinbarten kodierten Sprache.

Gottesdienst auf der Polizeistation

An diesem Tag trafen sich 18 Gemeindeglieder im Haus dieser Frau. Aber schon kurz nachdem sie mit Lobpreis und einer Zeit des Austauschs angefangen hatten, stand die Polizei vor der Tür. Sie durchsuchte das Haus gründlich und fand auf dem Drucker Vorbereitungen für eine Bibelarbeit. Daraufhin nahmen sie die Gemeindeglieder mit zur Polizeistation und verhörten sie einzeln. Während die Geschwister auf ihre jeweiligen Verhöre warteten, entschlossen sie sich dazu, mit ihrem Gottesdienst, der durch die Polizei unterbrochen worden war, auf der Polizeistation weiterzumachen. Atamurat erinnerte sich: „Wir sangen das Lied „Jesus wird überwinden“ in unserer Muttersprache. Wir haben sogar ein Dankopfer eingesammelt, weil wir das vorher nicht geschafft hatten. Ich wurde daran erinnert, wie ich am Morgen gebetet hatte: „Herr, wo willst du dich heute mit deiner Braut treffen?“ in diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass hier, auf der Polizeistation, der Ort war, den Gott für uns vorbereitet hatte.“

Im Visier der Polizei

Das war der Beginn einer Zeit der Verfolgung, die zehn Jahre andauern sollte. Die nächsten Jahre wurden immer schwieriger und stressiger, es gab Druck von allen Seiten und die permanente Bedrohung, gefangen genommen zu werden. Die Verantwortung für ihre Kinder und gleichzeitig für die Gemeinde mit ihren vielen großen und kleinen alltäglichen Problemen wog schwer auf den Schultern von Atamurat und Zamira.

Im Jahr 2017 stand die Gemeinde vor ihrer ersten größeren Krise. Am Morgen des 5. Januar drang die Polizei in die Wohnung ein, in der gerade ein Gemeindetreffen stattfand, und nahm die vier versammelten Familien fest. Die an der Wand angebrachten Gebetsanliegen veranlassten die Polizisten dazu, jedem Anwesenden eine 40-fach höhere Strafe aufzuerlegen, als es sonst für eine als illegal angesehene Versammlung üblich gewesen wäre. Außerdem wurden alle anwesenden Männer zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt.

Der älteste Sohn Samuil wurde von der Polizei schikaniert, nachdem mehrere seiner Klassen- kameraden durch ihn zum Glauben gekommen waren.
Es gibt trotz der Risiken viele Möglichkeiten zu offenen Gesprächen.

Im Gefängnis für Jesus

Bei ihrer Ankunft im Gefängnis wurden Atamurat und die drei anderen christlichen Männer vom Gefängnisdirektor beschimpft: „Ihr habt unseren Glauben verraten!“ Atamurat wurde zu einem Mann in die Zelle gesteckt, der Mitglied einer verbotenen islamistischen Vereinigung war und noch nie einen usbekischen Christen getroffen hatte. Atamurat erzählte ihm Geschichten über Jesus aus der Bibel. Der Mann hörte aufmerksam zu, stand auf, lief unruhig durch die Zelle und stellte Fragen wie jemand, der langsam merkt, dass er der Wahrheit gegenübersteht. „Was sind reine Nahrungsmittel und was sind unreine?“, fragte er. Die Worte von Jesus aus Matthäus 15 zitierend, erklärte Atamurat, dass man nur unrein wird durch das, was aus dem Mund herauskommt, nicht durch das, was hineinkommt. Jedes Mal, wenn Atamurat und sein Zellenkollege ihre einzige Mahlzeit pro Tag erhielten, dankte Atamurat Gott für das Essen und die Person, die es zubereitet hatte. Dann, am dritten Tag, bot sich sein muslimischer Zellenkollege an zu beten. Er wiederholte Atamurats Gebet und auch seinen letzten Satz „im Namen Jesu“.

Der Gefängnisdirektor ließ Atamurat drei Mal in sein Büro kommen, und jedes Mal bat Atamurat Gott, ihm die richtigen Worte zu geben. Der Gefängnisdirektor fragte ihn, ob er sicher wisse, dass er ins Paradies kommen werde. Atamurat antwortete, dass er hundertprozentig sicher sei. „Ich bin nun schon zwanzig Jahre in die Moschee gegangen“, erwiderte der Gefängniswärter, „und ich kenne jeden wichtigen geistlichen Leiter hier in dieser Gegend. Keiner von ihnen kann sagen, dass er hundertprozentig sicher ist. Wie um alles in der Welt können Sie das dann behaupten?“ „Weil Mohammed niemals so etwas versprochen hat“, antwortete Atamurat und erklärte ihm anschließend, dass nur Jesus versprochen habe, dass jeder, der an ihn glaubt, mit ihm im Paradies sein werde.

Die Gefangenen arbeiteten fast jeden Tag auf dem Feld, an den Abenden kamen muslimische Lehrer, die den vier Christen den Islam predigten. Der Gefängnisdirektor beobachtete die vier Männer und überlegte sich, wer von ihnen wohl der wäre, der am schnellsten zum Islam zurückkehren würde. Diesen ließ er von Aufsehern verprügeln, bis dessen Arme und Beine durch die Blutergüsse blau geworden waren.

Am letzten Tag von Atamurats Strafe ließ der Gefängnisdirektor ihn wieder in sein Büro bringen und zeigte ihm drei Bibeln – eine auf Russisch, eine auf Usbekisch und eine in der lokalen Karakalpak-Sprache. „Ihr Typen behauptet, dass Jesus der Sohn Gottes sei“, sagte er zu Atamurat. „Das steht aber nicht in der Bibel.“ „Doch“, erwiderte Atamurat, und er fing an, aus dem 1. Kapitel des Johannesevangeliums vorzulesen. Als er fertig damit war, sagte der Gefängnisdirektor: „Deshalb gestatten wir euch nicht, dass Ihr euch registriert. Wenn wir das nämlich tun würden, würden ganz viele Leute zu euch gehören wollen.“

Gott kümmert sich um Zeit und Ort

Am Tag, nachdem Atamurat aus dem Gefängnis kam, konnte er sich mit einem HMK-Partner treffen, der die so notwendige Erholungszeit für die ganze Familie organisierte. Jahre später sagte Atamurat dem Partner, wie sehr diese Zeit ihm, Zamira und den Kindern geholfen habe, die schlimme Erfahrung der Inhaftierung zu verarbeiten. „Als ich im Gefängnis saß und auch noch eine Weile nach meiner Entlassung, machte ich mir ständig Gedanken darüber, was ich hätte anders machen können, um nicht im Gefängnis zu landen“, sagte Atamurat. „Aber nach dieser Auszeit war mir klar, dass Gott sich darum gekümmert hatte, dass ich am richtigen Platz zur richtigen Zeit gewesen war.“

Seit diesen Ereignissen hat sich mit der Wahl eines neuen Präsidenten die Lage für Christen in Usbekistan vom Gesetz her drastisch verbessert. Der Druck für usbekische Christen kommt jetzt vor allem aus der eigenen Familie und der Nachbarschaft. 2020 durfte sich Atamurats Gemeinde offiziell registrieren; ihre Treffen sind somit nicht mehr illegal. Es ist zwar immer noch mit einem Risiko verbunden, in ihrer Heimatstadt das Evangelium zu verkünden, aber Atamura und Zamira und auch ihre Söhne nutzen dazu jede Gelegenheit und jede Begegnung mit Menschen in ihrer Nachbarschaft. Es liegt ihnen am Herzen, überall von Gottes Wahrheit zu erzählen.

Bitte beten Sie,

dass durch das Zeugnis dieser Familie noch viele Menschen in Usbekistan den Weg zu Jesus finden.

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