„Das Wertvollste, das ich dir hinterlasse, ist Jesus“
Sri Lanka

„Das Wertvollste, das ich dir hinterlasse, ist Jesus“

Fast zwei Jahre sind seit den Bombenattentaten auf mehrere Kirchen und Hotels in Sri Lanka am Ostersonntag 2019 vergangen. Wir haben in der Stimme der Märtyrer darüber berichtet (Ausgabe 6/2019 und 4/2020). Die Schicksale bewegen. In dieser und der nächsten Ausgabe lesen Sie von Familien, die den Anschlag auf die Zionskirche in Batticaloa überlebt haben, was ihnen an jenem Tag zustieß und wie Gott sie durch tiefste Nöte getragen hat.

Verlini sprach an diesem Morgen in der Sonntagsschule über die Kreuzigung Jesu. Unter den aufmerksam zuhörenden Kindern waren auch ihre eigenen, Debbi und Rufus. Kurz vor Unterrichtsende erzählte sie ihnen vom Himmel und stellte die Frage: „Was denkst du, passiert, wenn du heute stirbst?“ Anschließend betete Verlini mit den Kindern. Zum Schluss fragte sie, wer bereit wäre, für Jesus zu sterben – die meisten der Kinder hoben die Hand. Um halb neun war die Sonntagsschule vorbei, die Kinder spielten im Kirchhof, die Erwachsenen bereiteten sich für den Ostergottesdienst in der Zionskirche in Batticaloa vor. 

Während Verlini in der Sonntagsschule unterrichtete, feierte Girja den dritten Geburtstag ihres jüngsten Sohnes mit der Familie. Sie hoffte, dass ihr Mann Preshan sie und die vier Kinder zur Kirche begleiten würde. Girjas Mann hatte Alkoholprobleme und war nicht sonderlich am christlichen Glauben interessiert. Zwar hatte er nichts dagegen, dass seine Frau und die Kinder zur Kirche gingen, aber er selbst wollte Jesus nicht nachfolgen. Auch an diesem Sonntag wollte er nicht mit in den Gottesdienst kommen. Er sagte, er müsse noch arbeiten. Preshan arbeitete als Tagelöhner und Girja als Reinigungskraft. Preshan bewunderte seine Frau dafür, wie gut sie mit dem Wenigen umgehen konnte, das sie hatten. Seit sie Christin geworden war, schien es der Familie besser zu gehen: Sie waren sich alle irgendwie nähergekommen, auch die Kinder machten sich nun gut in der Schule. Jeden Abend um elf Uhr las Girja in der Bibel und betete. „Ich brauche Gottes Gnade jeden Tag neu“, hatte sie ihrem Mann erklärt.  Nachdem Girja noch einmal gefragt hatte, ob Preshan nicht doch mitkommen wollte, machte sie sich mit den Kindern auf den Weg zur Kirche.

Ein großer Tag für Pastor Stanley

Ostersonntag war ein großer Tag für Pastor Stanley. Er leitete den Gottesdienst an jenem Morgen in der Zionskirche, weil der Hauptpastor als Verkündiger nach Europa eingeladen worden war. Kurz vor neun, als bereits rund fünfhundert Gottesdienstbesucher ihre Plätze eingenommen hatten, sah Pastor Stanley, wie einer der anderen Pastoren einen jungen Mann aus dem Kirchengebäude brachte. Der Mann war mit Kappe, Jogginghose und T-Shirt für einen Ostersonntagsgottesdienst eher ungewöhnlich gekleidet. Pastor Stanley fiel vor allem der große schwarze Rucksack auf… Pastor Stanley ging aus der Kirche heraus, um diesen ungewöhnlichen Besucher zu begrüßen. Auf dem Weg sah er die Kinder der Sonntagsschule; sie saßen auf einer Treppe, vor der sein Lieferwagen stand.

Pastor Stanley begrüßte den jungen Mann mit dem Rucksack. Er wolle für seine Mutter beten, erklärte der fremde junge Mann. Aufgrund seines Namens und Akzents hielt Pastor Stanley ihn für einen Muslim. Die Kirche hatte viele muslimische Besucher. Einige kamen regelmäßig. Etliche waren Christen geworden. Es gab also nichts Beunruhigendes. Pastor Stanley lud den jungen Mann zu einem der Mittwochabendgottesdienste ein, um dort gemeinsam für seine Mutter zu beten.

„Etwas war nicht in Ordnung“

Pastor Stanley ging zurück in die Kirche. Der Gottesdienst begann. Der Chor fing an zu singen. Der Gottesdienst nahm seinen Lauf, aber etwas beunruhigte Pastor Stanley. „Ich spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.“ Er drehte sich zur offenen Tür um, weil er sehen wollte, wo der junge Mann war. Pastor Stanley sah, dass sein Pastorenkollege und ein Kirchenältester mit ihm sprachen und ihm den Eingang zur Kirche versperrten.

Dann sah Pastor Stanley, wie der Mann plötzlich vornüber auf die Knie fiel. Eine große Explosion dröhnte über den Hof. Pastor Stanley versuchte den Schock der Bombenexplosion, den Schmerz und das laute Pfeifen in seinen Ohren zu ignorieren. Er rannte durch die Kirche und versuchte Verletzten zu helfen. Er sah ein Kleinkind und zog es aus dem brennendem Schutt heraus. Dann lief er weiter zu einem dunklen Loch mitten im Zementboden, dorthin, wo der junge Mann auf die Knie gefallen war. „Mein Kollege lag auf dem Boden“, sagte Stanley. „Ich sah so viele Kinder. Aber meinen Sohn konnte ich nicht finden.“

14 Kinder waren sofort tot

Viele Kinder waren in der Nähe der Tür gewesen, als der junge Mann die Bombe gezündet hatte. Vierzehn von ihnen waren durch die Explosion sofort umgekommen, viele waren verwundet worden. Später wurde Stanley klar, dass der Lieferwagen, den er im Hof geparkt hatte, die Kinder auf der Treppe etwas vor der Wucht der Explosion geschützt hatte.

Langsam kam Hilfe in Gang. Gemeindemitglieder und Nachbarn brachten die Verletzten zu den Autos, hielten Rikschas an, um weitere Verwundete in die Krankenhäuser zu bringen. Pastor Stanley war unendlich erleichtert und dankbar, als er erfuhr, dass auch sein Sohn darunter war.

Preshan fand nach dem Tod seiner Frau zu Jesus. Er vermisst sie und fragt sich, wie er seine Kinder alleine großziehen kann.

Nach dem Tod seiner Frau fand er Jesus

Preshan war bei der Arbeit, als ihn die Nachricht vom Angriff auf die Kirche erreichte. Sofort machte er sich auf den Weg dorthin. Doch die Polizei hatte das Gebiet bereits abgeriegelt, sodass er nicht nach Girja und den Kindern suchen konnte. Am Nachmittag fand er seine Frau endlich in einem der Krankenhäuser. Ihre Wunden waren nur notdürftig versorgt worden. Es waren zu viele Patienten, um die man sich hatte kümmern müssen, manche schienen schwerer verletzt als Girja zu sein. Aber Girja hatte nicht nur zahlreiche äußere Verletzungen. Sie hatte auch eine Kopfverletzung, die man übersehen hatte. Girja verstarb noch im Krankenhaus.

Girjas Mann Preshan muss immer wieder weinen, wenn er daran denkt, wie ihn seine Frau gebeten hat, mit ihr und den Kindern in den Gottesdienst zu gehen. Er vermisst Girja sehr. Vor dem Anschlag hätte er versucht, seinen Schmerz im Alkohol zu ertränken, sagt er, aber jetzt habe er aufgehört zu trinken. Nach dem Tod seiner Frau fand er Jesus. Preshan geht heute regelmäßig in die Gemeinde. Seine 12-jährige Tochter, die mit in der Kirche gewesen war, leidet immer noch unter einem Knalltrauma als Folge der Explosion. Hörverlust und Pfeifgeräusche begleiten sie. Preshan selbst leidet unter Schlafstörungen. Er macht sich Sorgen: Wird er sich ausreichend um seine Kinder kümmen können – ohne seine Frau?

Neu anfangen und nicht aufgeben

Nicht nur Preshan trauert um seine Frau.  Viele, die von dem Bombenanschlag direkt betroffen sind, müssen ihr Leben wieder aufbauen. Sie haben nicht nur sichtbare, sondern auch unsichtbare Narben, wie den Verlust geliebter Menschen.  Auch Pastor Stanley trauert. Er denkt an die Gemeindeglieder, die er an jenem Ostersonntag verloren hat, darunter zwei seiner Nichten. Aber er hat sich entschieden, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen. Pastor Stanley ist jetzt Teil eines kleinen Teams, das die vom Bombenanschlag betroffene Familien besucht, um mit ihnen zu beten. Anderen zu helfen gibt ihm Kraft, mit seiner eigenen Trauer fertig zu werden.  Auch die Zionsgemeinde muss neu anfangen und plant ein neues Gemeindezentrum, um dort Gottesdienst feiern zu können.

Die Zionsgemeinde feiert auch nach dem Anschlag jeden Sonntag Gottesdienst, derzeit in einem von der Armee geschützten Haus.
Ein Plakat erinnert an die Namen der Ermordeten.

Spuren der Erinnerung an den Anschlag

Heute erinnert ein großes Plakat an die Opfer des Terroranschlags. An der immer weiter zerfallenden Kirche wird so der Namen der Opfer gedacht. Auch Bilder der Gottesdienstbesucher, die durch den Selbstmordanschlag ums Leben gekommen sind, erinnern an das Attentat. Noch immer sind Spuren der Bombensplitter an der Hofmauer zu sehen, wo die Kinder gespielt hatten. Und ein großes Loch im Boden, der Bombenkrater, erinnert an den schrecklichen Anschlag am Ostermorgen 2019.

Dennoch wissen die Pastoren von keinem Christen, der seinen Glauben aufgrund des Bombenanschlags verloren hätte. Einige Gemeindeglieder können noch nicht in die Gottesdienste kommen, weil sie noch mit den Verletzungen und Folgen des Anschlags zu tun haben, andere haben Angst. Aber alle halten an ihrem Glauben fest.

Die Zionsgemeinde hat inzwischen ein anderes Gebäude angemietet. Dort werden jetzt die Gottesdienste gefeiert. Perspektivisch möchte die Gemeinde am Stadtrand ein neues und größeres Gemeindezentrum errichten.

Eine Bibel für Debbi

Die kleine Debbi, ebenfalls Gemeindeglied der Zionskirche, hat an dem Ostersonntag 2019 beide Eltern verloren. Verlini, die Sonntagsschullehrerin, war ihre Mutter. Die kleine Debbi hat außerdem durch die Explosion ihr Augenlicht verloren. Aber nicht ihren Glauben.

„Warum weinen?“, sagte sie einmal zu einer Verwandten. „Meine Eltern sind bei Jesus. Einmal werden wir auch bei Jesus sein.“ Statt zu verzweifeln, klammert sie sich in kindlichem Vertrauen an Gottes Zusagen. Der Lieblingsvers ihrer Mutter – „Befiehl dem Herrn deine Wege, und er wird es wohl machen“ – ist auch ihrer.

Debbis Mutter war jeden Morgen um halb vier aufgestanden, um in der Bibel zu lesen und zu beten. Sie und ihr Mann hatten die Familie immer wieder dazu angehalten, nahe bei Gott zu bleiben. Debbis Tante erzählt: „Die Kinder haben ihre Eltern nicht mehr, um sie auf den richtigen Weg zu leiten. Aber die Eltern konnten ihren Kindern das mitgeben, was sie wissen müssen.“ So frühstückt Debbis 11-jähriger Bruder Rufus nicht, bevor er in der Bibel gelesen hat. Debbis Tante glaubt, dass Debbie eine doppelte Portion des Glaubens ihrer Mutter mitbekommen habe: „Sie erzählt allen, dass Jesus neue Augen für sie vorbereitet hat.“ Nach dem Bombenanschlag lag Debbie einige Monate auf der Intensivstation eines Krankenhauses in Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas. Jetzt wartet sie auf eine Augenoperation.

Debbi (im gelben T-Shirt) verlor beiden Eltern bei dem Anschlag. Sie selbst erblindete.

„Unsere Nöte haben uns näher zu Gott gebracht“

Debbis Onkel und Tante haben beide Kinder aufgenommen. Das Jahr nach dem Anschlag war schwer, aber Gott hat sie getragen und ihren Glauben gestärkt. „Was auch immer unsere Nöte waren, sie haben uns näher zu Gott gebracht“, sagt Debbis Onkel.  Debbis Tante hofft, dass die Augenoperation gelingen wird, damit ihre Nichte eines Tages die Bibel lesen kann, die ihre Mutter Verlini ihr geschenkt hat. Sie wünscht sich, dass Debbi einmal die Widmung lesen kann, die ihre Mutter für ‚Debbi Liebling‘ in diese Bibel geschrieben hat. Auch ihrem Sohn hat Verlini solch eine Widmung hinterlassen: „Rufus, Baby, ich hab Dich lieb, Du Schatz. Aber Jesus liebt dich viel mehr als ich Dich liebe! Das Wertvollste, das ich Dir hinterlasse, ist Jesus. Psalm 37, 5 – Mami“

Verlini hat für ihre Kinder jeweils eine Widmung in die Bibel geschrieben.

Sonntagmorgens um neun Uhr

Auch bald zwei Jahre nach dem Bombenanschlag sind die tiefen Narben zu spüren. Aber die Gemeinde der Zionskirche trifft sich immer noch sonntagmorgens um neun Uhr. Seit dem Anschlag hat sie keinen Gottesdienst ausfallen lassen. Männer und Frauen sitzen im Schneidersitz auf dem Fliesenboden – die Männer auf der linken, die Frauen auf der rechten Seite. Einige ältere Geschwister sitzen auf Plastikstühlen.  Aber niemand bleibt lange sitzen. Wenn die Gemeinde anfängt zu singen, stehen alle auf und preisen und loben Gott – in Tamil und Englisch. Meist dauert der Lobpreis rund zwei Stunden. In der dritten Gottesdienststunde ist Zeit für Gebet. Die letzte Gottesdienststunde ist für die Predigt reserviert.

Trotz der vierstündigen Gottesdienstdauer und obwohl die Deckenventilatoren die tropische-schwüle Luft kaum bewältigen können, folgen die Gottesdienstbesucher konzentriert der Predigt mit offenen Bibeln im Schoß oder geöffneter Bibel-App in der Hand. Dafür sind sie gekommen: Gemeinschaft, Lobpreis, Gebet und Bibelstudium. Das gibt ihnen die Kraft, die sie in ihrem täglichen Leben brauchen. Nichts – nicht einmal ein Selbstmordenattentäter – kann ihnen die nehmen. Denn Gottes Treue trägt die, die ihn ehren, wie groß die Not auch sein mag.

Die HMK in Sri Lanka

7 % der Einwohner Sri Lankas sind Christen. Sie werden immer wieder Opfer von Gewalt wie bei den Anschlägen am Ostersonntag 2019. Die Partner der HMK helfen vor Ort durch:

  • Schulstipendien und ganzheitliche Betreuung für 250 Kinder
  • Theologische und seelsorgerlichee Ausbildung, um Gemeinden zu unterstützen
  • Einkommensgenerierende Maßnahmen, um Christen den Aufbau einer neuen Existenz zu ermöglichen

Anteilnehmen und Lernen

„Stimme der Märtyrer“ – Das Magazin der Hilfsaktion Märtyrerkirche

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