"Die türkische Gemeinde ist stark"
Türkei

"Die türkische Gemeinde ist stark"

David und Ulrike Byle / Foto: privat

Im Gespräch mit einem ausgewiesenen Missionar

Am 13. Oktober 2018 ist David Byle auf dem Weg zu einer christlichen Konferenz. Er wartet nur noch auf die Fahrscheinkontrolle am Bahnhof von Ankara – als die Bahnhofsmitarbeiter plötzlich stutzig werden. Sie rufen die Polizei und wenig später findet sich der Missionar mit amerikanisch-kanadischen Wurzeln im Gefängnis wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich in Abschiebehaft befindet.

Gemeinsam mit seiner deutschstämmigen Frau Ulrike hat David zahlreichen Türken das Evangelium nahe gebracht. Seit fast 20 Jahren lebt er mit seiner Familie in der Türkei. Seine fünf Kinder sind in diesem Land aufgewachsen, neben Englisch und Deutsch gehört Türkisch zu ihrer Muttersprache.

Nun stellen mehrere türkische Polizisten ihm Hunderte von Fragen. Akribisch wird alles, was er antwortet, in den Computer getippt. Weil er ihre Sprache versteht, besprechen sie sich leise untereinander, zeigen abwechselnd auf den Bildschirm und nicken sich gegenseitig zu. Schließlich sagen sie laut hörbar zu ihm: „Ihnen wird vorgeworfen, mit der PKK (Anm.d.Red. kurdische sozialistische Arbeiterpartei, die in der Europäischen Union als Terrororganisation gilt) zusammenzuarbeiten und die Sicherheit des türkischen Staates zu gefährden“. Wenig später heißt es: „Wir geben ihnen zwei Wochen Zeit, das Land zu verlassen.“ David verlässt am 25. Oktober 2018 das Land. Ulrike und die Kinder folgen ihm wenige Monate später.

Seine christlichen Aktivitäten kann ihm die Türkei offiziell nicht vorwerfen – sie verstoßen nicht gegen die türkische Verfassung, die Religionsfreiheit garantiert. „Deshalb erfinden sie oft den Vorwurf der Zusammenarbeit mit der PKK. Das ist inzwischen gängige Praxis, um unliebsame Missionare aus dem Ausland loszuwerden“, erklärt David. Neben ihm sitzt seine Frau Ulrike. Ich habe mich in einem Café in Berlin mit ihnen getroffen. Sie erzählen mir ihre Geschichte. Und ich frage sie, was sie nun tun werden, nachdem die Türkei David ein unbefristetes Wiedereinreiseverbot ausgesprochen hat.

„Zum Glück gibt es ja auch in Deutschland eine große Community, die türkisch spricht“, witzelt David. Tatsächlich sind etwa sechs Prozent der Berliner türkisch-stämmig. Damit wohnen in der Hauptstadt die meisten Menschen mit türkischen Wurzeln außerhalb der Türkei. David fährt fort, dass sie den Menschen mit türkischen Migrationshintergrund die Frohe Botschaft bringen wollen. Seit ein paar Monaten gehen sie in eine kleine türkische Gemeinde. „Unterscheiden sich die Türken in Berlin von denen in der Türkei?“, frage ich neugierig. „Oh ja“, antwortet Ulrike und erklärt, dass sie in der Regel wesentlich religiöser sind. „In der Türkei gibt es nicht wenige Atheisten. Viele Türken haben mit dem Islam eigentlich nicht viel am Hut. Aber hier in Berlin nehmen die meisten Menschen mit türkischem Hintergrund den Islam ernster als in der Türkei.“ – „Sie reagieren auch ganz anders auf Straßenevangelisation!“, ergänzt David. In der Türkei hatte er regelmäßig vorbeigehenden Passanten von Jesus erzählt: Mit Farbe und Papier bewaffnet erklärte er das Evangelium, immer bildete sich eine kleine Traube von Zuhörern, mit denen seine Mitarbeiter dann ins Gespräch kamen und angeregte Diskussionen führen konnten. „Hier gehen die Leute einfach an einem vorbei!“ Ich frage ihn, ob er das Predigen auf der Straße dann eben lässt. „Nein!“, kommt es halb belustigt, halb entrüstet aus seinem Mund. Das hat er scheinbar keine einzige Sekunde in Erwägung gezogen. „Ich kann nicht anders, das mache ich einfach am Liebsten: Den Menschen, die zuhören wollen, von Gottes großer Liebe erzählen“, sagt er.

Davids Passion: das Evangelium vorbeigehenden Menschen auf der Straße zu predigen / Foto: privat
Fast 20 Jahre lang lebte die Familie Byle in der Türkei / Foto: privat

Und Gott wirkt mächtig unter den Muslimen, erzählt mir Ulrike und erklärt: „Sie sehen, was in anderen muslimischen Ländern passiert und welches Chaos dort herrscht. Das bewegt sie dazu, sich vom Islam abzuwenden. Heimlich, oft im Internet, suchen sie dann nach Alternativen. Und finden so zu Jesus.“ Viele von ihnen haben Träume. Das liegt daran, dass Muslime den Träumen in ihrer Kultur eine größere Bedeutung beimessen, erklärt sie. „Für sie sind Träume eben keine Schäume. Deshalb nutzt Gott diesen Weg, um ihnen zu begegnen. Eine benachbarte Freundin zum Beispiel berichtete mir davon, wie ihr Jesus vor einer großen Operation im Krankenhaus im Traum begegnet ist. Voll Erstaunen erzählte sie mir davon, wie er seine Hände, die noch von den Wundmalen gezeichnet waren, auf sie legte. Wie er sie liebevoll zu sich rief. Und dass sie nach dem Erwachen noch Blut an ihren Händen fühlte.“

Woher wusste sie als Muslimin so genau, dass es Jesus war, der ihr begegnet ist? „Jesus spielt (als Prophet Isa, Anm.d.Red.) bei den Muslimen eine sehr große Rolle. Ein Türke meinte mal zu mir: ‚Wir verehren Jesus mehr, als ihr Deutschen!‘ Für sie ist er ein sehr wichtiger Prophet, der viel Gutes getan hat. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass sie nicht daran glauben, dass er Gottes Sohn ist und tatsächlich für sie am Kreuz gestorben und auferstanden ist. Deshalb ist Allah für sie so weit weg, ein unnahbarer, strenger Gott, dem man mit Taten gefallen muss, damit man eventuell einmal in den Himmel kommt. Sie verstehen nicht, dass Gott schon alles für sie getan hat. Dass er sogar selbst Mensch wurde, um ihnen ganz nahezukommen. Dass er sich nach ihnen sehnt und eine Beziehung zu ihnen sucht.“ Ulrikes Augen füllen sich mit Tränen. Mit gebrochener Stimme wiederholt sie: „Sie müssen einfach nur zum Vater heimgeholt werden!“

Sie liebt Türken von ganzem Herzen, das spüre ich. „Dabei musste ich sie erst lieben lernen. Am Anfang fühlte ich mich überhaupt nicht wohl in der Türkei“, erzählt Ulrike weiter. Doch schließlich gewann die zugetane Art der Türken ihr Herz. „In der Türkei kümmert man sich umeinander, die Nachbarn sind für einen da. Man respektiert die ältere Generation und hat ein großes Herz für Kinder. Es ist ein sehr warmherziges Miteinander“, beschreibt sie ihre Erfahrung und fasst zusammen: „Ich begriff, dass ich ihnen auf kultureller Ebene nichts zu geben hatte. Das Einzige, was ich ihnen noch geben konnte, war Jesus!“

Neben David und Ulrike mussten auch zahlreiche andere ausländische Missionare in letzter Zeit das Land verlassen. Wie wird es nun weitergehen mit der Gemeinde Jesu in der Türkei? Wird die kleine Herde, nunmehr auf sich allein gestellt, überleben? Das Ehepaar ist sich sicher: „Inzwischen gibt es in der Türkei genügend fähige Leiter. Die Gemeinde ist stark genug. Sie werden ohne uns zurechtkommen und wachsen.“

David im Gespräch mit einem türkischen Imam / Foto: privat

Veranstaltungshinweis

Auf den „Tagen der Verfolgten Gemeinde“ vom 26.2. – 1.3.2020 im Haus Höhenblick, Braunfels, wird Dan Baumann von seiner Hafterfahrung im Iran berichten.  

Christenverfolgung im Iran
Länderinfo

Christenverfolgung im Iran

Die Islamische Revolution von 1979 unter der Führung von Ayatollah Khomeini führte zur Gründung einer Theokratie im Iran: Seit mehr als 40 Jahren ist er somit die einzige Nation der Welt, deren offizielle Staatsreligion der schiitische Islam ist. Das Land setzt sich aktiv für die Ausweitung des schiitischen Islam ein, indem es beispielsweise islamistische Terrororganisationen in Syrien und im Libanon unterstützt. Armut, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung seitens der Regierung haben dazu geführt, dass viele Iraner frustriert und vom Islam enttäuscht sind. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Anzahl von Menschen, die unter Depressionen leiden, extrem angestiegen – ebenso die Selbstmordrate und der Drogenmissbrauch. Das berichtet das christliche Werk Heart4Iran. Diese Verzweiflung hat aber auch Türen für das Evangelium geöffnet, das über Satellitenfernsehen und Internet in das Land gelangt. Immer mehr Iraner werden Christen. Diese Konvertiten versammeln sich heimlich in ihren Häusern und bekommen über christliche Medien, die in das Land geschmuggelt werden, oder auch Satelliten-Fernseh­programme biblische Unterweisung im Glauben, da es nur wenige Bibeln im Land gibt und es verboten ist, sie zu importieren oder im Land drucken zu lassen. Die iranische Regierung ist eines der am stärksten unterdrückendsten Regime weltweit; es hat ein Netzwerk von Informanten in jeder Stadt. Vom Islam zum Christentum überzutreten ist verboten. Vor allem Christen mit muslimischem Hintergrund stehen ständig in der Gefahr, verhaftet und wegen des "Vorgehens gegen die nationale Sicherheit" angeklagt zu werden. Sie werden nicht selten von ihren Arbeitgebern entlassen und – einmal als Christen bekannt – ist es schwierig für sie, wieder einen neuen Job zu finden. Oft werden sie auch aus ihren Mietwohnungen vertrieben. Christliche Leiter und Pastoren kommen oft ins Gefängnis und ihre Familien werden schikaniert. Einigen bleibt keine andere Wahl, als aus dem Land zu fliehen.

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