Warum wir Jesus brauchen
Bericht

Warum wir Jesus brauchen

Eine Reise zum Wādī an-Naṭrūn, dem koptischen Kloster St. Makarius und einer alten Wahrheit

Heiß flimmert die Luft über dem Asphalt der großen Autobahn 75 durch die Wüste. Längst hat unser Auto die Megametropole Kairo hinter sich gelassen. Die künstlich bewässerten Golfplätze der neuen Sheikh-Zayed-City liegen auch schon hinter uns. Jetzt geht es Kilometer um Kilometer durch die Sand- und Steinwüste nach Norden Richtung Alexandria.

Doch wir wollen gar nicht bis zur Hafenstadt am Mittelmeer – unser Ziel liegt auf halber Strecke im Wādī an-Naṭrūn. Als wir uns dem Wadi nähern, verändert sich die Landschaft: Obstbaumplantagen werden sichtbar, immer wieder wachsen Blumen, Felder stehen voller Gemüsepflanzen und Olivenbäume. Hier gibt es Wasser.

Ein Sehnsuchtsort für Christen

Wir sind jedoch nicht wegen Obst und Gemüse hergekommen. Die Oase ist in gewisser Weise ein Sehnsuchtsort für viele Christen in Ägypten. Viele orthodoxe Kirchen, aber auch moderne evangelikale Gemeinden nach eher westlichem Stil haben in den letzten Jahren dort Grundstücke erworben, Gärten angelegt und Freizeitheime aufgebaut. Denn die Geschichte des christlichen Glaubens geht in dieser Region Ägyptens bis ins 4. Jahrhundert nach Christus zurück. Hunderttausende ägyptische Christen suchten in der Einsamkeit der Wüste Besinnung, Einkehr und das Wort des lebendigen Gottes. Hunderte Klöster entstanden, von denen die meisten auch noch die muslimische Eroberung Ägyptens überstanden und erst später ihre Bedeutung verloren, auch wenn sie immer von Berbern und Beduinen überfallen wurden. Heute sind nur noch vier große Klöster in der Gegend vorhanden, aber die koptischen Christen sind stolz auf das kostbare geistliche Erbe, das in diesen Klöstern spürbar wird.

Neues Leben im Kloster

Untrennbar verbunden mit dem Wādī an-Naṭrūn ist das Kloster St. Makarius und die geistliche Stimme seines Vorstehers Mönch Mattā al-Maskīn. „Matthäus der Arme“, wie er zuletzt genannt wurde, verließ eine glänzende Karriere als Apotheker, nachdem er einen äthiopischen Christen getroffen hatte, der ihn mit seiner ernsthaften Heiligung sehr beeindruckt hatte. Zusammen mit anderen akademisch gebildeten Kopten zog er sich in die Wüste zurück, bis ihn der damalige koptische Papst 1969 beauftragte, das inzwischen weitgehende verlassene, heruntergekommene Kloster des Heiligen Makarius wieder mit Leben zu füllen. Auch mit geistlichem Leben. 1981 erschien eine Schrift, die einen tiefen Einblick in die Seele, aber auch in die Jesusbeziehung dieses Mönchs gibt. Als Erinnerung an einen „der Großen im Reich Gottes“, obwohl Mönch Matthäus sich immer klein machte. Als eine Einladung, über die Frömmigkeit unserer koptischen Geschwister neu dankbar zu werden, die es in diesen Tagen in Ägypten nicht leicht haben. Und als Herausforderung an uns in „Corona-Deutschland“, uns neu darauf zu besinnen, was wirklich wichtig ist im Lebenund im Sterben.

„Je weiter wir von Jesus entfernt sind, desto größer wird unsere Begehrlichkeit nach so vielen Dingen dieser Welt sind, desto mehr Sorgen machen wir uns um die besonderen oder allgemeinen Dinge in unserem Leben.“

Das moderne Alexandria

Eine Zeit der Läuterung beginnt

Jesus erkennen mit Mattā al-Maskīn

Mattā al-Maskīn schreibt: „Während meines frühen christlichen Lebens machte ich immer wieder die Erfahrung, dass ich im Umgang mit den Menschen, der Kirche oder den Mönchen meinen Mangel an so vielen Dingen verspürte und stark in Anfechtung geriet. Ich quälte mich so sehr, dass meine ganze Energie und mein Einfluss auf andere verloren gingen. Aber in dem Augenblick, in dem ich mich meinem Herrn Jesus näherte und mir seiner Nähe wieder bewusst wurde, hüpfte mein Herz vor Freude, und mein Geist sammelte sich. Alles Gefühl der Not fiel von mir ab, und Christus stieg neu über den Horizont meines ganzen Lebens auf. Dabei war es ja nicht so, als käme Jesus nach einer Abwesenheit zurück – nein, die Ursache der Abwesenheit Christi war immer ich selbst gewesen.

Das gleiche Gefühl hatte ich immer dann, wenn mich stürmische Gedanken über die Wege Gottes und seine Fürsorge für Einzelne und die Menschen so beunruhigt hatten, dass mein Geist in mir schmerzlich betrübt war. Denn ich war immer bestrebt, den höchsten Gott auf allen Ebenen zu suchen: sei es in der Barmherzigkeit oder in der Gerechtigkeit und Züchtigung, in der zärtlichen Vaterschaft oder in der Souveränität und Gnade. So wurde ich immer wieder von widersprüchlichen Gefühlen zerrissen, die mir weder Ruhe noch Frieden gaben. Aber sobald ich spürte, dass Jesus sich mir nähert, beruhigte sich sofort meine Seele. Alle meine Fragen und Sorgen verschwanden, und Christus erschien über alle meine Kriterien bezüglich Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit, Vaterschaft oder Souveränität hinaus.

Christus ist das einzige Bedürfnis

Durch diese beiden Erfahrungen wurde mir deutlich, dass Christus das einzige Bedürfnis unseres Lebens ist. Je weiter wir von ihm entfernt sind, desto größer wird unsere Begehrlichkeit nach so vielen Dingen dieser Welt sind, desto mehr Sorgen machen wir uns um die besonderen oder allgemeinen Dinge in unserem Leben. Aber warum erscheint uns die Person Christi manchmal so, als sei Jesus die Fülle von allem und die einzige Antwort auf die tausend Fragen? Und warum versinken wir dann wieder in herausfordernden Anfechtungen?

Um das zu beantworten, müssen wir erkennen, dass die menschliche Natur zwei widersprüchliche Welten umfasst, die körperliche und die geistige. Diese geistige Welt, die das Wesen des Menschen durchzieht, steht im Gegensatz zu der materialistischen und degenerierten Realität im körperlichen Leben des Menschen, die ihn zu Taten äußerster Niederträchtigkeit verleitet.

Ein Mensch kann seinen Bruder für einen Bissen Brot töten oder sein himmlisches Erbe für einen Teller Suppe verkaufen (1. Mose 27). Die Geschichte der Zivilisation, der Philosophie und der Wissenschaft beweist, dass es keine Hoffnung gibt, in der dem Menschen innewohnenden Spannung und Zerrissenheit eine natürliche Versöhnung zwischen den Idealen des Geistes und den Realitäten des Fleisches herbeizuführen. Man kann Weisheit und Bildung einbringen, man kann immer bessere Lebensregeln oder die bloße Befolgung der Gebote Gottes durchsetzen - sogar durch Stockschläge: nichts bringt etwas, wir werden uns nicht ändern. Denn sobald menschliche Instinkte wüten, rebelliert der Mensch gegen alle geistigen Werte, und eine vorübergehende geistige Blindheit überwältigt ihn und treibt ihn dazu, die gröbsten Übertretungen zu begehen – sogar gegen sich selbst.

Vollständig und immerwährend versöhnt

Genau hier hinein erscheint Christus in seiner vollständigen Menschlichkeit und Göttlichkeit. Er ist das große Wunder, das die menschliche Realität – die sich in den Instinkten und Leidenschaften des Menschen, in seinem Umgang mit der Welt, seinen Bedürfnissen und Gebrechen zeigt – mit Gott selbst versöhnt hat. Die Versöhnung ist vollständig, immerwährend und ewig, tief verwurzelt in der Tiefe des erlösten Menschen selbst: denn alles, was Christus gehört hat, gehört nun der Gemeinde. Die von Christus erfüllte Versöhnung ist eine persönliche Versöhnung, die in Christus selbst erreicht wird: nicht durch unsere Macht, sondern durch seine Macht. Das Ergebnis übertrifft den Verstand des Menschen. Dieses Versöhnungsangebot galt ab dem Augenblick, als es durch die Menschwerdung und Kreuzigung Christi erfüllt wurde, der ganzen Menschheit. Jesus vertritt nun uns und zugleich diese Versöhnung vor Gott, dem Vater.

Das bedeutet auch: nur Christus allein ist fähig, Christus zu offenbaren. Die Kritik vieler Menschen am Christentum richtet sich gar nicht so sehr gegen die Person Christi, sondern gegen die Abwesenheit Christi in unserem „Christentum“. Wenn Christus in seiner Gottesgleichheit in unserem Leben präsent wäre, würde niemand an der Göttlichkeit Christi etwas auszusetzen haben. Doch wir täuschen uns als Christen manchmal selbst, wie sehr wir Jesus brauchen. Und das Gefährlichste an dieser Täuschung ist, dass wir in unseren Augen gut erscheinen, und so finden wir es unnötig, uns selbst loszulassen und Christus zu ergreifen: so bleibt der wahre Christus den Augen und Ohren der Menschen verborgen.

Menschen sind immer wieder über Christus gestolpert, weil wir Christen Jesus in unserem Leben auf die gleiche Ebene stellen wie andere Bedürfnisse, auf die Ebene der Suche nach unserem Brot und auf die Ebene des Vergnügens, der Zerstreuung, des Wissens und der Politik. Deshalb redet der wahre Christus in uns tausend Mal weniger, als seine Wirklichkeit in uns reden könnte. Wenn Jesus für uns Christen Gott ist, sollte er höher und größer sein als alles in unserem Leben, sogar größer als unser Leben selbst. Unser dringendes Bedürfnis ist, dass unser Christsein aus Jesus selbst besteht und nicht aus unseren Prinzipien und Ambitionen, unserem Stolz oder unsere Begierde nach der eitlen weltlichen Herrlichkeit, die wir oft hinter dem Namen Christi verstecken.

Jesu Kommen neu spüren

Unsere größte Aufgabe ist es, die Person Christi noch einmal zu bitten, dass sie in unserem Leben erscheint. Unser größtes Bedürfnis ist es, Jesu` Kommen zu uns neu zu spüren, ihn in unserem Sein zu empfangen und ihn dann in uns sprechen und handeln zu lassen. Dann wird eine Erweckung beginnen, bei der alles Falsche hinweggefegt und der Wahrheit Platz gemacht wird. Wann werden wir den Vers glauben, in dem es heißt: „Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen.“ (2. Kor 4,5)?

 

„Wenn Jesus für uns Christen Gott ist, sollte er höher und größer sein als alles in unserem Leben, sogar größer als unser Leben selbst.“

Ulrich Weinhold

Ulrich Weinhold war von 2006–2020 Leiter der drei Werke „Hilfe für Brüder“, „Christliche Fachkräfte International“ und „Co-Workers International“

Unser Angebot in Zeiten von Corona:

Die „Stimme der Märtyrer“ als pdf

Anteilnehmen und Lernen

„Stimme der Märtyrer“ – Das Magazin der Hilfsaktion Märtyrerkirche

Das Magazin gibt den um ihres Glaubens Willens verfolgten und bedrängten Christen eine Stimme durch ...

  • authentische Berichte von Glaubensgeschwistern,
  • ergreifende Reportagen über ungewöhnliche Erlebnisse,
  • interessante Länder-Infos und
  • aktuelle Gebetsanliegen.
Das alles und noch viel mehr finden Sie monatlich auf zwölf Seiten, die herausfordern und Mut machen.

Jetzt kostenlos abonnieren
Jetzt abonnieren