Die Macht der Improvisation
Angedacht

Die Macht der Improvisation

Gedanken von Ulrich Weinhold zur momentanen Situation der Gemeinde-Gottesdienste in Corona-Zeiten

Bereits seit März 2020 müssen sich in Deutschland die meisten Gemeinden mit der Frage auseinandersetzen, wie sie ihr gottesdienstliches Leben in der COVID19-Pandemie aufrechterhalten. Neben vielen kreativen Ideen einzelner Gemeinden fällt auf, dass breite Kreise sowohl der landes- als auch der freikirchlichen Gemeinden in großer Sorge um Infektionen, aber auch um negative Erwähnungen in der Öffentlichkeit tendenziell eher den vorsichtigsten Weg gehen – und der bedeutet leider oft, Gottesdienste, Zusammenkünfte und Besuche einfach zu streichen. Ausfall statt Einfall, lautet mancherorts die Devise.

Digitalisierung als Alternative?

Natürlich wird an Alternativen gearbeitet. Digitalisierung scheint auch in der Gemeindelandschaft das neue Zauberwort zu sein. Während viele gute Ideen im digitalen Bereich darauf verwendet werden, zu retten, was eben zu retten ist in dieser Corona-Zeit, scheinen andere davon auszugehen, dass die persönliche Zusammenkunft zukünftig vollständig durch digitale Treffen ersetzt werden kann. Die Begeisterung für Klicks, Serverstatistiken und „Besucher“ – also Menschen, die für eine Verweildauer ab einer Sekunde ein Internet-Angebot wahrgenommen haben und deshalb bereits gezählt werden, ist in manchen Kreisen echt. Klar, denn man versteht sich als „progressiv“ und „dem Morgen zugewandt“. Das geht so weit, dass das Bibelwort aus Matthäus 18 „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ so verstanden wird, als wenn vom „Versammeltsein“ auch der digitale Konsum erfasst sei – aber ob das Jesus wirklich so gemeint hat?

„Von der bedrängten und armen Kirche in den Gemeinden des Südens lernen.“

Lernen aus der Vergangenheit

Man könnte natürlich auch beginnen, von der bedrängten und armen Kirche in den Gemeinden des Südens zu lernen. Oder alternativ auch aus der eigenen evangelischen Vergangenheit: Denn immer dort, wo Kirche verfolgt wurde, wurden zuerst ihre Zusammenkünfte reglementiert, eingeschränkt oder ganz verboten.

Ob das die protestantischen Gottesdienste während der Rekatholisierung in Schlesien oder die Bibelstunden auf den Bauernhöfen bei den Salzburgern vor ihrer Vertreibung waren – bedrängte Gemeinde musste ausweichen, sich neu organisieren, immer wieder auch „untertauchen“. Drittes Reich und DDR geben Beispiele von dem Erfindungsreichtum, den das hervorrief. Mancher Waldgottesdienst entstand ja nur, weil die Regierung keine Gebäude für das gemeinsame Singen, Beten und Predigthören geben wollten. Da wurde improvisiert und geschaut, was Gott daraus machen würde. Da wurde um gutes Wetter gebetet. Und da wurde immer wieder Gottes Treue erlebt.

Subtile Christenhetze?

Vielleicht ist der Frühling 2021 eine gute Gelegenheit, Neues auszuprobieren in einer Zeit, in der Gottesdienste ab 10 Personen erstmals seit 70 Jahren wieder vorher angemeldet werden müssen. Eine Zeit, in der Medien einzelne Vorkommnisse in Gemeinden – die es empirisch gesichert ebenso auch in anderen Situationen gibt – gleich zu einem „Hotspot-Narrativ“ machen und damit zu einer manchmal gar nicht so subtilen Christenhetze.

Neue Wege gehen

„Corona ist eine Gelegenheit, keine Ausrede“, das ist für mich einer der Lieblingssätze in dieser besonderen Zeit geworden. Auch für unsere Gemeinden in Deutschland kann das bedeuten, dass wir uns „neu erfinden“. Eine Ermutigung war für mich der Adventskalender eines Mädchens bei Chemnitz, gestaltet für alle Kinder im Dorf entlang des Zauns seiner Heimatkirche. Ein Pfarrer aus Heidenheim feierte Weihnachten mit seiner Gemeinde bei Fackelschein im Freien.

Im Mainhardter Wald gingen die Pfarrer Heiligabend zu einzelnen „Predigtstationen“ – kamen also zur Gemeinde und nicht umgekehrt.  Irgendwas geht immer. Wir dürfen uns alle fragen lassen: Kann man vielleicht spontan noch einen Ostergarten improvisieren, indem verschiedene Geschwister einer Gemeinde zusammen in ihren Vorgärten Szenen darstellen? Könnte man dann die Nachbarn einladen, eine kleine Osterwanderung zu unternehmen? Könnte man nicht als Gemeinde – freilich mit genügend Abstand – einen Waldgottesdienst zu Pfingsten feiern, wie das im erzgebirgischen Stützengrün schon lange geschieht? Könnte man nicht – Stichwort Mentoring – die Jugendlichen aus der Gemeinde einzeln zum Abendessen einladen, um zu hören, wie es ihnen geht? Vielleicht feiern wir Gottesdienst nur noch als Hausgemeinden, mit einer anderen Familie oder Singles zusammen, halten das Abendmahl, wie in der Apostelgeschichte?

„Corona ist eine Gelegenheit, keine Ausrede.“

„Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.“

Von verfolgten Christen lernen

Verfolgte Christen von China über Nepal, Pakistan, Ägypten, Marokko und Mali bis hin zu Kuba feiern Gottesdienst ganz ohne Orgel, Glockengeläut und Silberkelche. Vielleicht gibt es da etwas für uns zu lernen? Vielleicht sind die großen US-amerikanischen Megakirchen und Kongresse doch nicht die Lösung aller Herausforderungen, vor die uns das 21. Jahrhundert stellt?

Und vielleicht kommen wir nach Jahrzehnten des bezahlten Pfarrdienstes, der Professionalisierung und letztlich auch ein wenig der Kommerzialisierung der Verkündigung wieder zurück zum Laiendienst der ersten Gemeinde, zum Priestertum aller Gläubigen. Das Josua-Wort „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“, kann man jedenfalls ganz individuell mit Leben füllen. Meine Frau und ich stellten vor Weihnachten einen „Schreibfehler in Leuchtschrift“ vor unser Haus. Die Resonanz war stark, Handybilder, fragende Passanten, Anrufe, was das sein soll. Und deshalb am Ende die Frage an Sie: Was haben Sie eigentlich in diesem Frühjahr vor? „Hoff-endlich“ etwas, das endlich wieder Hoffnung gibt in diesen Corona-Zeiten! „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat!“

Ulrich Weinhold

Ulrich Weinhold wuchs im Vogtland in der früheren DDR in einer christlichen Familie auf. Frühe Glaubensentscheidungen rund um Konfirmation, Abiturverbot und Maurerlehre prägten ihn.

Nach der Wende folgten ein Jura-Studium und die anwaltliche Praxis, dann nach Auslandsaufenthalten von 2006-2020 die Leitung der Vereine „Hilfe für Brüder“ und „Christliche Fachkräfte International“.

Ulrich Weinhold ist seit 1998 verheiratet mit Anke, die beiden haben keine Kinder, aber sehr oft junge Leute am Küchentisch.

Anteilnehmen und Lernen

„Stimme der Märtyrer“ – Das Magazin der Hilfsaktion Märtyrerkirche

Das Magazin gibt den um ihres Glaubens Willens verfolgten und bedrängten Christen eine Stimme durch ...

  • authentische Berichte von Glaubensgeschwistern,
  • ergreifende Reportagen über ungewöhnliche Erlebnisse,
  • interessante Länder-Infos und
  • aktuelle Gebetsanliegen.
Das alles und noch viel mehr finden Sie monatlich auf zwölf Seiten, die herausfordern und Mut machen.

Jetzt kostenlos abonnieren
Jetzt abonnieren