Teilhaben am Leiden
Eritrea

Teilhaben am Leiden

Twen war erst seit zwei Jahren Christin, als sie mit 21 Jahren festgenommen und inhaftiert wurde. 16 Jahre lang sollte sie eingesperrt in eritreischen Gefängnissen verbringen, aufgrund ihres Glaubens misshandelt werden – und in dieser Zeit erfahren, dass die Gnade Gottes sie durch alles Leid hindurchträgt.
„Ich bin in der eritreischen Hauptstadt Asmara aufgewachsen und katholisch erzogen worden“, erzählt Twen über ihre Kindheit. Eines Tages las sie das Buch der Offenbarung in der Bibel und blieb an der Warnung hängen, nicht lau zu werden. „Mit einem Mal überkam mich eine große Gottesfurcht. Stand ich vielleicht in der Gefahr, lau zu sein – und würde Gott mich deswegen ausspeien, so wie es dort über die Christen in Laodizea heißt?“, fragte sie sich erschrocken und begann, ihr bisheriges Leben als Christ in Frage zu stellen.

Zum ersten Mal im Gefängnis

Twen traf sich mit anderen bekennenden Christen zum Gottesdienst. Ihr neues Leben beunruhigte ihre Familie. Denn in Eritrea gibt es nur drei erlaubte traditionelle Kirchen – protestantisch-evangelikale Kirchen gehören nicht dazu. Aus Angst drohten sie Twen damit, ihre Bibel und die Kassetten mit Gospelsongs wegzunehmen. Am Ende bewahrheitete sich ihre Sorge: Man sah Twen beim Verlassen eines Treffens mit anderen Christen und nahm sie fest. „Im Februar 2004 war ich zum ersten Mal wegen meines Glaubens für einen Monat im Gefängnis“, erinnert sie sich. „Mein Vater kam und flehte mich an, ‚ja‘ zu allem zu sagen, was die Gefängnisbehörden von mir verlangen würden, um freigelassen zu werden. Er würde mir auch erlauben, die Bibel zu lesen und Gospellieder zu hören.“ Twen lächelt: „Ich war so glücklich, dass er kam und mir das Bibellesen erlaubte.“ Aber sie wollte von dem Gefängnisbeamten auch wissen, wozu sie „ja“ sagen sollte. „Oh, das ist einfach“, sagte der Beamte. Sie solle einfach keine Versammlungen mehr besuchen oder das Evangelium verkünden. „Ich antwortete ihm, dass die Bibel lehrt, keine Versammlung zu versäumen.“ Der Gefängnisbeamte meinte, das sei schon in Ordnung, Twen könnte immer noch an kleinen Treffen teilnehmen, aber nicht an großen Predigtkonferenzen. Auch über ihren Glauben dürfe sie sprechen, wenn auch nur noch im kleinen Kreis. Also stimmte Twen zu, unterschrieb alles ungelesen und wurde freigelassen.

 

„2004 war ich zum ersten Mal wegen meines Glaubens im Gefängnis“

 

„Entscheide dich: Die Bibel oder der Brief?“

Eine Entscheidung mit Konsequenzen

„Damals hatte ich gerade die militärische Ausbildung beendet, daher gab man mir einen Brief für meine Einheit mit. Als ich meinem Offizier den Brief überreichte, las er ihn und sagte, ich hätte unterschrieben, zu meiner alten Religion zurückzukehren.“ Twen wurde nachdenklich, sie ahnte die Konsequenzen. War sie bereit, ihre Familie, ihren Job – vielleicht sogar ihr Leben aufzugeben? „Ich sagte mir: Entscheide dich. Die Bibel oder der Brief?“ Dann erinnerte sie sich an einen Bibelvers, in dem es darum ging, alles für Christus aufzugeben und traf noch an Ort und Stelle ihre Entscheidung. „Ich sagte dem Offizier, dass ich das nicht versprochen hätte.“ Der Offizier händigte ihr den Brief aus und Twen ging nach Hause zurück. „Ich kniete mich neben mein Bett und weinte. Ich bat Gott um Vergebung“, erzählt sie. Danach nahm sie ihre Bibel, stellte sich in Gedanken das Papier vor, das sie unterschrieben hatte, und legte beides nebeneinander. Sie spürte voll Freude, dass es richtig gewesen war, sich für die Bibel zu entscheiden.

Nach Gebetstreffen verhaftet

Acht Monate lebte sie ihren Glauben dann in ihrer wiedergewonnenen Freiheit – bis zum Sylversterabend 2004. Nach einem Gebetstreffen wurde sie erneut verhaftet – und dieses Mal direkt eingesperrt. Fast drei Jahre lang musste sie in einem Schiffscontainer verbringen. In dieser Zeit wurden viele Gläubige inhaftiert, hauptsächlich Teenager, aber auch Pastoren. Sie alle sagten sich von ihrem Glauben los, um freigelassen zu werden. Der Druck auf Twen wurde immer größer. Die Gefängniswärter wollten sie mit Gewalt zur Aufgabe ihres Glaubens zwingen. Doch Twen war entschlossen, sich an Jesus Wort zu halten: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ (Matthäus 10,32–33).

Die Gefängniswärter verschlossen daraufhin den Container. „Ich konnte nicht atmen“, sagt Twen. Die Wachen warteten draußen darauf, dass Twen sie um Hilfe rief. Stattdessen flehte Twen Gott an: „Bitte, Gott, hilf mir!“ Da leitete Gott sie zu Versen aus dem 1. Petrusbrief: „Liebe Freunde, wundert euch nicht über die Nöte, die wie ein Feuersturm über euch hereingebrochen sind und durch die euer Glaube auf die Probe gestellt wird; denkt nicht, dass euch damit etwas Ungewöhnliches zustößt. Freut euch vielmehr, dass ihr auf diese Weise an den Leiden teilhabt, die Christus durchmachen musste; denn dann werdet ihr, wenn er in seiner Herrlichkeit erscheint, erst recht von Freude und Jubel erfüllt sein. Ja, wenn ihr beschimpft werdet, weil ihr zu Christus gehört und nach seinem Namen genannt seid, seid ihr glücklich zu preisen; denn gerade dann ruht der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes, auf euch.“ (1. Petrus, 4,12–14).

 

„Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater.“


„Gott wollte seine Herrlichkeit in meinem Leben zeigen.“

Während sie über diese Worte nachdachte, begann sie, den Heiligen Geist in ihrem Herzen zu spüren. Tiefe Freude ergriff sie – und sie konnte plötzlich wieder atmen. „Ich weiß nicht wie“, sagt Twen, „aber es funktionierte. Gott wollte seine Herrlichkeit in meinem Leben zeigen.“
Um den Druck zu erhöhen, trennte man sie von den christlichen Mitgefangenen. Dort im Schiffscontainer begriff Twen auch die Bedeutung der christlichen Gemeinschaft. „Mein Leiden hätte sich nicht so schlimm angefühlt, wenn dort noch andere Gläubige gewesen wären.“ Als die Wärter merkten, dass sie dennoch entschlossen blieb, ihren Glauben nicht aufzugeben, schickten sie Twen in ein anderes Gefängnis nach Wia am Roten Meer. Dort sperrte man Twen in einer unterirdischen Zelle ein – aber nicht mehr in Einzelhaft, sondern mit anderen Christen zusammen. Ihre Freude darüber war so groß, dass sie die Verlegung sogar „Tag ihrer Entlassung“ nannte. Aber auch wenn die Gemeinschaft der Christen Twen stärkte, waren die Bedingungen brutal. „Ständig versuchten sie uns einzuschüchtern“, sagt Twen. „Aber wir wollten treu bis in den Tod sein.“

Beharrlich trotz Schmerzen

Immer wieder schlugen die Wärter Twen und die anderen aufs heftigste. Als sie merkten, dass Twen nicht nachgab, wurden ihre Schläge noch brutaler. Wie sie den Schmerz aushielt, weiß Twen nicht mehr, aber sie weiß noch, dass sie betete: „Prüfe mich nicht über meine Fähigkeiten hinaus.“ Irgendwann begann sie zu begreifen, dass ihr Leiden auch ein Privileg war. „In dem Moment spürte ich die Gegenwart des Heiligen Geistes und erhielt die Gnade, den Schmerz zu ertragen.“ Als sie ihre Peiniger ansah, wurde ihr klar, dass sie selbst zwar in diesem Moment leiden, aber am Ende in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen würde. Ihre Peiniger dagegen, die jetzt noch lachten, würden alles verlieren. „Sie waren in einer viel schlimmeren Situation als ich“, sagt Twen, „und ich fing an, sie zu lieben.“
Aber die Gefangenen mussten nicht nur Schläge erleiden, sondern auch Hunger und Durst erdulden. Mehr als eine Tasse Wasser und ein Stück Brot pro Tag gab es nicht. Doch Twen überlebte. „Ich hatte solche Angst“, sagt sie, „ich dachte, dass ich das alleine nicht schaffen werde. Aber Gott schenkte mir eine Vision: Ich sah einen Mann, der wie Jesus aussah. Er hielt ein kleines Mädchen in seinen Armen. Das Mädchen war glücklich, aber der Mann sah schmerzgebeugt aus – denn er selbst schützte die Kleine mit seinem Körper vor den Schlägen.“ Twen begriff, dass ihre Peiniger nicht sie schlugen, sondern Jesus. „Bei diesem Gedanken fand ich die Kraft, alle Schläge zu ertragen.“ 


Einige Jahre ihrer Zeit im Gefängnis musste Twen in einem Schiffscontainer verbringen

Twen persönlich kennenlernen

Wenn Sie Twen persönlich kennenlernen wollen, kommen Sie zum HMK-Missionstag – Twen wird dort aus ihrem Leben berichten: Samstag, 10.06.2023 in der Evangelischen St. Martini Gemeinde, Bremen.

Weil die Wachen glaubten, dass Twen die Anführerin der Gruppe sei und die anderen Christen davon abhalte, ihren Glauben aufzugeben, wurde sie eines Tages besonders gequält. „Als ich dachte, ich könnte es nicht mehr aushalten, wurde ich ohnmächtig“, erinnert sie sich. „Aber die Gefängniswärter rüttelten mich wieder halbwegs wach – sie wollten, dass ich ein Dokument unterschreibe.“ Als Twen sich weigerte, gingen die Schläge weiter, bis Twen erneut ihr Bewusstsein verlor. Twens Zustand wurde so schlecht, dass sie in ihre Zelle getragen werden musste. Der Gefängnisdirektor sagte ihr, dass sie sterben würde, wenn sie nicht ins Krankenhaus ginge – doch dafür müsse sie ihren Glauben aufgeben. Aber Twen lehnte ab. Als sie vor Schmerzen wieder bewusstlos wurde, brachte man sie in ihre unterirdische Zelle zurück.
 

„Eure Gebete haben mich gerettet“

16 Jahre sollten auf diese Weise vergehen, bis Twen schließlich im Rahmen einer Amnestie zusammen mit 200 anderen Christen freigelassen wurde. Wenn sie über die Zeit im Gefängnis nachdenkt, ist sie dankbar für die vielen Gebete von Christen in der „freien“ Welt: „Eure Gebete haben mich gerettet“, sagt sie. „Aber ich fühle mich gesegnet, am Leiden Christi teilzuhaben.“ Selbst jetzt hegt sie keinen Groll gegen diejenigen, die sie im Gefängnis gepeinigt haben. „Gott hat es mir geschenkt, sie lieben zu können.“ 

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