Kraft des Gebets
Indien

Kraft des Gebets

Wenn Ravan an das Leben denkt, das er führte, bevor er Jesus kennengelernt hatte, wird er traurig. Heute ist er Gemeindegründer im Südwesten Indiens, aber früher gehörte er zum Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), einer hinduistischen nationalistischen Organisati- on, die der führenden politischen Partei Indiens verbunden ist. Ravan war dort Teil einer bezahlten Bande, die Christen und Muslime bedrohte.

Sieben Jahre lang war Ravan als Schläger der RSS unterwegs, genoss die Macht, die gute Bezahlung und den kostenlosen Alkohol. Und doch wachte Jesus wohl schon in dieser Zeit über ihm – denn seine Mutter, die Jahre zuvor Christin geworden war, betete inbrünstig, dass sich ihr Sohn zu Jesus bekehren möge. „Das tat sie, seit ich klein war“, sagt Ravan. „Ich sagte ihr immer, sie solle leise beten, und manchmal trug ich Kopfhörer, um ihr Gebet nicht hören zu müssen.“

Bevor er sich der hinduistischen Gruppe anschloss, gab es in Ravans Leben viel Not. Seine Familie hatte fi- nanzielle Probleme. Sein Vater war Alkoholiker, er starb, als Ravan 15 Jahre alt war. Und Ravan war auf dem besten Weg, in seine Fußstapfen zu treten und sich in einen frühen Tod zu trinken. In Ravans Augen war aber auch seine Mutter auf dem falschen Weg. „Ich mochte nicht, dass sie Jesus nachfolgte“, erinnert er sich.
 

Info

Oft ist es riskant für Christen, sich zu treffen, weil Banden wie die, zu der Ravan gehörte, überall zuschlagen können.

 

„Wir wurden zwar trainiert, Menschen anderer Religionen zu bekämpfen und sie davon abzuhalten, Hindus zu bekehren“

Zum Hass verleitet

Als der RSS 2003 in seiner Gegend mit der Rekrutierung begann, war Ravan auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Die hinduistischen Nationalisten schickten Rekrutierer durch ganz Indien, um junge Männer für ihre Organisation zu gewinnen. Ihr Ziel: fremde Religionen aus Indien zu vertreiben, um eine reine hinduistische Nation zu schaffen. „Ich fühlte mich angesprochen und wollte Teil dieser Bewegung sein“, blickt Ravan zurück. Er war 20 Jahre alt, als er der Gruppe beitrat. Zu Beginn durchlief er ein spezielles Training, bevor er einem achtköpfigen Team zugeteilt wurde. Die Mission seines Teams war es, Chaos zu stiften. Seine ersten Aufgaben bestanden darin, kleine Transporte von Rindern abzufangen, die zum Schlachthof fuhren; im Hinduismus werden Kühe als heilig verehrt. „Wir sollten die Fahrer der Lastwagen mit den Rindern angreifen“, sagt Ravan. „War der Fahrer ein Hindu, wurden wir angewiesen, ihn zu warnen und gehen zu lassen. Aber wenn es ein Muslim oder ein Christ war, sollten wir ihn anhalten, verprügeln und der Polizei übergeben. Dann sollten wir Falschaussagen machen, um ihn verhaften zu lassen.“ Ravan lernte auch, wie man Äste und Kricketschläger als Waffen verwendet – Gegenstände also, die nicht auf einen geplanten Angriff hindeuten. „Meine Anführer versicherten mir, dass unsere Gewalttaten niemals zu strafrechtlichen Anklagen füh- ren würden“, sagt Ravan.“ Vor einem Angriff malten sich Ravan und sein Team ein orangefarbenes Zeichen – Tilaka genannt – auf ihre Stirn. Orange ist die heilige Farbe im Hinduismus. Doch für Ravan hatten seine Aktivitäten niemals eine religiöse Komponente. „Wir wurden zwar trainiert, Menschen anderer Religionen zu bekämpfen und sie davon abzuhalten, Hindus zu bekehren, aber niemals ging es darum, ihnen den Hinduismus näher zu bringen.“
 

Pastoren im Fokus der Verfolgung

Während der RSS sich sorgte, dass die muslimische Bevölkerung in Indien durch die steigende Ge- burtenrate wachsen würde, ging es im Bezug auf die Christen eher darum, dass ihre Zahl durch Bekehrung der Hindus zunehmen würde. Deshalb wollte man sie, vor allem ihre Pastoren, vertreiben. „Wenn es in einem Dorf keinen Pastor gab, sollten wir zu den Christen in den Dörfern gehen und ihnen Druck machen, damit sie sich von ihrem Glauben abwenden“, sagt Raban. „Wenn es einen Pastor im Dorf gab, lautete der Plan: Gewalt.“ Einmal griff Ravan einen Pastor an, der mit seinem Motorroller unterwegs mit Frau und Kind war. „Wir zwangen ihn, von seinem Motorroller abzusteigen und bedrohten ihn. Ich habe sein Bein gebrochen“, erinnert sich Ravan traurig. Stets gingen sie nach der gleichen Methode vor: Zuerst wurden Name und Adresse des Pastors ermittelt, dann wurde er körperlich angegriffen und zuletzt beschuldigten ihn zwei oder drei Personen des Versuchs, sie konvertieren zu wollen. Funktionierten die falschen Anklagen nicht, veranlassten sie ein oder zwei hinduistische Familien dazu, den Pastor zu beschuldigen, sie mit Geld zum Christentum bewegen zu wollen. Sieben Jahre lang war das Ravans Alltag. Doch eines Tages fiel ihm auf, dass seine Bande aus ungebildeten Menschen der unteren Kaste bestand, während die Führer aus höheren Kasten stammten. „Sie haben uns benutzt, um Geld zu verdienen“, erkannte Ravan damals.

Es war in einer Nacht im Juli 2012, wie so oft hatten Ravans RSS-Anführer ihn und seine Komplizen beauftragt, jemanden brutal zusammenzuschlagen. Am nächsten Morgen erfuhr Ravan, dass die Polizei nach ihnen fahndete. „Die RSS-Anführer distanzierten sich sofort, nur unsere Namen wurden beschuldigt“, sagt Ravan. Die Bande beschloss, sich zu trennen und die Stadt zu verlassen. Auf der Flucht hatte Ravan einen Motorradunfall. Da er betrunken war, erinnert er sich nur dunkel: „Ich lag in einer Grube und merkte, dass ich verletzt war.“ Bis zu diesem Unfall hatte Ravan seine Aktionen für den RSS vor seiner Mutter geheimgehalten. „Ich wollte nicht, dass sie erfuhr, dass ich Kirchen und Pastoren attackierte“, sagt er. Doch nun brauchte er Hilfe. Und im Gegensatz zum RSS blieb seine christliche Familie treu an seiner Seite. Als er im Krankenhaus erwachte, saß seine Mutter an seinem Bett. Ravan hatte schlimme Wunden im Gesicht. Sein ganzer Kopf war verbunden. Nur seine Augen waren zu sehen. Bei der Aufnahme im Krankenhaus meinte jemand zu ihm: „Da hat wohl jemand für sie gebetet, sonst wären auch ihre Augen verletzt.“ „Mein erster Gedanke war, das muss meine Mutter gewesen sein“, sagt Ravan.
 

Ein neues Leben

Ravans Bande zahlte eine Kaution, um zur RSS zurückzukehren, aber Ravan wollte nicht mehr. Kurz nach dem Motorradunfall fragte seine Mutter ihn, ob er sie in die Kirche begleiten wolle. Das wollte er eigentlich nicht, weil er von den anderen Dorfbewohnern nicht gesehen werden wollte. Die Kirche war klein, mit Platz für nur 30 bis 40 Per- sonen. Ravan setzte sich in die Nähe der Tür und hörte aufmerksam zu wie der Pastor Psalm 1 vorlas. „Es war, als würde Gott zu mir ganz persönlich sprechen“, erinnert er sich. „Bisher hatte man mir nur beigebracht, den Hinduismus zu bewahren. Aber was ich hier hörte, war etwas ganz anderes. Es war echt.“ Am Ende des Gottesdienstes betete der Pastor mit Ravan. Von da an begann eine tiefgreifende Veränderung in Ravans Denken und Handeln. Innerhalb von zwei Monate hatte er seine schlechten Trinkgewohnheiten überwunden und rauchte nicht mehr. 2013 heiratete Ravan eine Christin; dem Paar wurden zwei Kinder geschenkt. Dann, während eines Gebetstreffens Silvester 2016 fühlte er plötzlich eine neue Berufung. „Ich sah, wie schlecht mein altes Leben gewesen war und wie ich jetzt lebe“, erinnert er sich. „Ich merkte ganz deutlich, dass ich nun etwas für Gott tun wollte.“ Ravan und seine Frau beschlossen, in einem nah gelegenen Dorf eine Gemeinde zu gründen. Einige Christen schlossen sich ihnen an, so dass die Gemeinde 12 Personen umfasste.
 

„Gott hat mir neues Leben geschenkt, also ist es egal, ob ich sterbe. Meine Aufgabe ist es, das Evangelium zu verbreiten.“

 

„Ich verbrachte eine Woche lang damit, zu beten“

Vom Verfolger zum Verfolgten

Ungefähr sechs Monate später erfuhren seine ehemaligen RSS-Freunde von seinem neuen christlichen Dienst. Zuerst übten sie Druck aus, um die Gemeinde an ihren Treffen in Ravans Haus zu hindern. Dann bezichtigten sie Ravan eines Raubüberfalls. Als die Polizei ihn auf die Wache rief, sagten sie Ravan, sie würden die Anklage fallen lassen, wenn er dafür 300.000 Rupien – umgerechnet 4.000 Dollar – zahlen würde. Doch als armer Pastor konnte Ravan diese Summe nicht aufbringen. „Ich verbrachte eine Woche lang damit, zu beten und in der Gegenwart Gottes um Hilfe zu schreien“, sagt er. „Es machte mir nichts aus, ins Gefängnis zu gehen, aber ich hatte Angst, dass ich meinen Ruf als treuer Diener Gottes verlieren würde und die Leute sagen würden, ich sei ein Pastor und ein Dieb.“ Schließlich konnte Ravan einen Deal mit der Polizei machen und man ließ die Anklage fallen. Doch der RSS hat Ravan weiter im Visier. „Bis heute stoße ich auf Widerstand“, sagt er. „Wenn ich eine Wohnung mieten will, bedroht der RSS die Eigentümer und ich werde abgewiesen oder man setzt mich aus Angst auf die Straße.“ In der Vergangenheit musste er immer wieder umziehen. Und obwohl das Haus, in dem er jetzt lebt, für zwei Jahre gemietet ist, versuchen die Besitzer, ihn vor Ablauf der Mietzeit aus dem Haus zu bekommen.
 

Zum Pastor geschult

Als er seine Arbeit als Pastor begann, gehorchte Ravan einfach dem Ruf Gottes. Er wusste genug, um das Evangelium weiterzugeben, aber nicht viel mehr. „Damals hatte ich keine Ahnung, wie ich meinen Dienst tun sollte“, sagt er. „Jede Woche predigte ich das, was aus meiner Sicht für mich dran war.“ Auf Anregung anderer Pastoren nahm Ravan an einer von der HMK unterstützten Pastorenausbildung teil. Dort lernte er, wie man Menschen zu Jüngern macht, wie eine Gemeinde aufgebaut sein sollte und wie man predigt. Das Training veränderte auch Ravans Verständnis davon, wie Gemeindewachstum aussehen sollte. „Meine Vorstellung vom Dienst war, so viele Menschen wie möglich in meiner Gemeinde zu haben“, sagt er. „Aber mir wurde klar, dass ich die neuen Gläubigen ermutigen musste, eigene Gemeinden in ihren Dörfern zu gründen, damit Wachstum an mehreren Orten möglich wurde. Meine Aufgabe war es, die Dörfer zu besuchen und dort Gebetszellen zu gründen.“ Heute leitet Ravan eine Gemeinde mit 50 bis 60 Gläubigen und betreut Gruppen in sechs Dörfern. Immer wieder besucht er die Dörfer, um mit den Geschwistern zu beten und auch den Kindern Geschichten aus der Bibel zu erzählen.
 

Beten Sie

Für seine Gemeinde möchte Ravan ein Kirchen- gebäude errichten, aber er weiß, dass einige Dorf- bewohner entschieden gegen den Bau einer Kirche sind, weil sie fürchten, dass dann die Gemeinde noch mehr wachsen würde. „Wir müssen viel Verfolgung ertragen, aber wenn ich die Bibel lese und bete, erlebe ich, wie Gott zu mir spricht.“ Er hat die Kraft des Gebets erfahren – und bittet darum: „So wie meine Mutter für mich gebetet hat und dieses Gebet zu meiner Errettung geführt hat, bitte ich Sie, für die Ungläubigen meines Landes zu beten, auch wenn Sie ihre Namen nicht kennen.“

Mutig der Verfolgung trotzen

Im Jahr 2021 trafen sich Ravan und andere Ge- meindemitglieder im Haus eines Bruders zu einer Geburtstagsfeier. Plötzlich tauchte der RSS mit der Polizei auf und beschuldigte ihn, Menschen gezwungen zu haben, zum Christentum zu konvertieren. Der RSS bedrohte die Gläubigen und machte ihnen Druck, die Anschuldigungen zu bestätigen. Aber die Christen sagten kühn, dass sie freiwillig in die Kirche gingen. Ravan wurde zwar nicht verhaftet, aber die RSS-Schergen gaben seine Kontaktinformationen an andere Radikale weiter. Seitdem erhält Ravan häufig Drohungen. Im Dorf, in dem Ravan seine Gemeinde gegründet hat, gibt es viele hinduistische Tempel. Frühere Pastoren haben es aufgrund der Verfolgung schnell verlassen, aber Ravan blieb drei Jahre dort. „Gott hat uns wunderbar geführt“, sagt er. Er hofft, in jedem der 60 kleineren Dörfer in der Umgebung mindestens eine Familie zu Jesus führen zu können. Obwohl er mit weiterer Verfolgung rechnet, ist er entschlossen. „Ich weiß, dass es Probleme geben wird, aber ich vertraue darauf, dass Gott uns beschützen wird, egal was kommt.“ Dieser Glaube gibt ihm Mut, seinen Dienst fortzusetzen. „Selbst wenn ich mein Leben verlieren sollte – ich werde niemals meinen Dienst aufgeben“, sagt er. „Gott hat mir neues Leben geschenkt, also ist es egal, ob ich sterbe. Meine Aufgabe ist es, das Evangelium zu anderen zu bringen.“

Kürzlich konnte er sogar mit einem früheren RSS-Komplizen, einem frommen Hindu, über Jesus reden. Während der Pandemie war der Mann in sein Dorf zurückgekehrt, weil er seinen Job in der Tourismusbranche verloren hatte. Ravan half ihm bei der Suche nach einer neuen Arbeit und erfuhr, dass sein Bekannter viele familiäre Probleme hatte: Seine Eltern waren Alkoholiker, die Schwester war krank und die Familie hatte finanzielle Probleme. Ravan erzählte dem Mann, wie Jesus sein Leben verändert habe. „Mein Freund kannte mich ja von früher“, sagt Ravan. „Er wusste, wie ich gelebt hatte, und er sah, wie mein Leben jetzt aussah. Das machte es für ihn leicht, die Botschaft von Jesus Christus anzunehmen, weil er mein Leben als Zeugnis für die Kraft Jesu vor Augen hatte.“

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